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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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byzantinischen Elemente eines
Gebäudes, das Mosaik eines Kirchenbodens oder die blasse Vorzeichnung eines
unvollendeten Freskos, das sich hinter dem Altar verbirgt -, sehe ich einfach
nicht. Auf ihren langen Beinen schreitet Catherine durch Rom
(»Catherine-mit-den-drei-Fuß-langen-Oberschenkeln« nannten wir sie einst), und
ich haste hinter ihr her wie in Kindertagen, stolpere zwei eilige Schrittchen
vorwärts, während sie einen macht.
    »Siehst du, Liz«, sagt sie, »siehst du, wie sie diese
neuzeitliche Fassade an das alte Mauerwerk geklatscht haben? Ich wette, wenn
wir um die Ecke biegen ... Ja! ... Siehst du, sie haben tatsächlich die alten
römischen Monolithen als Träger verwendet, wahrscheinlich weil sie nicht genug
Leute hatten, um sie wegzuschaffen ... Ja, die Flohmarktatmosphäre dieser
Basilika gefällt mir recht gut...«
    Catherine trägt ihren Stadtplan und ihren Michelin
Green Guide und ich unser Picknick (zwei von diesen fußballgroßen
Semmeln, pikante Wurst, fleischige grüne Oliven, umwickelt mit eingelegten
Sardellen, eine Pilzpastete, die wie ein ganzer Wald schmeckt, geräucherte
Mozzarella-Kugeln, gepfefferter und gegrillter Aragula, Kirschtomaten,
Pecorino-Käse, Mineralwasser und eine kleine Flasche gekühlten Weißwein), und
während ich überlege, wann wir wohl endlich vespern, macht sie sich laut ihre
Gedanken: »Warum wird eigentlich nicht vermehrt über das Konzil von Trient
diskutiert?«
    Sie schleppt mich in Dutzende Kirchen, aber ich kriege sie
nicht mehr auf die Reihe: St. Dies und St. Das und St. Irgendwer von den
Barfüßigen Büßern vom Rechtschaffenen Elend ... Aber nur weil ich mich nicht
mehr an alle Details oder die Bezeichnungen für all diese Säulen und Gesimse erinnere,
heißt das nicht, dass ich nicht gerne mit meiner Schwester unterwegs wäre,
deren kobaltblauen Augen nichts entgeht. Ich weiß nicht mehr, wie jene Kirche
hieß, mit den Fresken, die so sehr an die heroische amerikanische Wandmalerei
aus der Zeit des New Deal erinnern, aber ich weiß noch, dass
Catherine mich auf sie hinwies und sagte: »Diese Franklin-D.-Roosevelt-Päpste
müssten dir doch eigentlich gefallen ... « Und auch der Morgen, als wir in
aller Frühe aufstanden und zur Messe nach Santa Susanna gingen, ist mir im
Gedächtnis geblieben, als wir uns an den Händen hielten und den Nonnen
lauschten, die ihr gregorianisches Morgenlob sangen, und uns bei der hallenden
Eindringlichkeit ihrer Gebete die Tränen kamen. Meine Schwester ist nicht
religiös. Eigentlich auch sonst niemand in meiner Familie. (Ich nenne mich
gern das »weiße Schaf« der Familie.) Meine spirituellen Erkundungen
interessieren meine Schwester hauptsächlich in intellektueller Hinsicht. »Ich
finde diese Art von Glauben so schön«, flüstert sie mir in der Kirche zu, »aber
ich kann das nicht, ich kann es einfach nicht... «
    Und hier ist noch ein Beispiel für unseren unterschiedlichen
Blick auf die Welt: Vor kurzem wurde eine Familie aus der Nachbarschaft meiner
Schwester von einer zweifachen Tragödie heimgesucht. Sowohl bei der jungen
Mutter als auch bei ihrem dreijährigen Sohn hatte man Krebs diagnostiziert.
Als Catherine mir am Telefon davon erzählte, war ich schockiert und konnte
lediglich erwidern: »Mein Gott, die Familie braucht wirklich Gnade.« Worauf sie
mir entschieden entgegnete: »Die Familie braucht was zu essen«, und sich
umgehend anschickte, sämtliche Nachbarn zu mobilisieren, die dann abwechselnd
ein ganzes Jahr lang Abend für Abend für die Familie kochten. Ob meine
Schwester begreift, dass auch das Gnade ist, weiß ich nicht.
    Als wir Santa Susanna verlassen, sagt sie: »Weißt du, warum
die Päpste im Mittelalter Stadtplanung betreiben mussten? Vor allem, weil man
Jahr für Jahr mit zwei Millionen Pilgern zu rechnen hatte, die aus dem gesamten
Abendland in die Stadt kamen. Um die Pilgerströme zu lenken und zu bewältigen,
musste man eine entsprechende Infrastruktur schaffen.«
    Meine Schwester glaubt an den Wert der Bildung. Das Oxford English
Dictionary ist ihre Heilige Schrift. Wenn sie den Kopf darüber beugt
und ihre Finger über die Seiten eilen, ist sie bei ihrem Gott. Später an diesem
Tag erlebe ich meine Schwester »im Gebet«: Mitten auf dem Forum Romanum fällt
sie auf die Knie, schiebt (als würde sie eine Tafel wischen) ein wenig Abfall
beiseite, nimmt dann ein Steinchen und ritzt den Grundriss einer römischen
Basilika in den Boden. Dann zeigt sie auf die vor uns stehende Ruine und

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