Gilbert, Elizabeth
Fenster offen gelassen für
den Fall, dass wir es möglicherweise eines Tages (nach meinen Reisen, nach
einem Trennungsjahr) noch einmal probieren wollten. Wir liebten uns. Daran
hatte nie ein Zweifel bestanden. Wir wussten nur nicht, wie wir aufhören
konnten, uns auf so furchtbare, quälende Weise so extrem unglücklich zu
machen.
Im letzten Frühjahr hatte David sogar eine verrückte Lösung
für unser Leiden vorgeschlagen: »Könnten wir nicht einfach anerkennen, dass wir
eine miese Beziehung haben, und es trotzdem durchziehen? Einfach zugeben, dass
wir uns gegenseitig in den Wahnsinn treiben, andauernd streiten, fast nie
miteinander schlafen, aber nicht ohneeinander leben können, und irgendwie damit
fertig werden? Auf diese Weise könnten wir zusammenbleiben, unglücklich zwar,
aber auch wieder glücklich, nicht getrennt zu sein.«
Wie wahnsinnig ich diesen Mann liebe, mag die Tatsache
bezeugen, dass ich in den letzten zehn Monaten immer wieder über sein Angebot
nachgedacht habe.
Die andere Möglichkeit, mit der wir insgeheim rechneten,
war natürlich, dass sich einer von uns ändern könnte. Er könnte liebevoller und
zärtlicher werden und sich abgewöhnen, sich jede ihn liebende Frau - aus
Angst, sie könnte ihn verschlingen - vom Leib zu halten. Oder ich könnte lernen
oder versuchen, ihn ... nicht mehr zu verschlingen.
Wie oft hatte ich mir in meiner Zeit mit David gewünscht,
so sein zu können wie meine Mutter - unabhängig, stark, selbstgenügsam. Eine
Selbstversorgerin. Die auch leben kann, ohne regelmäßige Dosen an
Schmeicheleinheiten von meinem eigenbrötlerischen Vater zu bekommen. Die imstande
ist, fröhlich Gänseblümchenbeete um die unerklärlichen Steinwälle des
Schweigens anzulegen, die mein Vater zuweilen um sich herum hochzieht. Mein
Vater ist mein liebster Mensch auf Erden, aber er ist auch ein etwas
eigenartiger Kauz. Ein Exfreund von mir hat ihn einmal so beschrieben: »Dein
Vater steht nur mit einem Bein auf dem Boden, und er hat sehr, sehr lange Beine
...«
Ich habe meine Mutter als eine Frau in Erinnerung, die die
Zärtlichkeiten und die Liebe ihres Ehemannes dankbar annahm, wann immer dieser
sich darauf besann, sich aber ebenso damit abfand, dass ihr Mann sich die
meiste Zeit in seine eigene Welt zurückzog und sich um sich selbst kümmerte. So
jedenfalls wirkte es auf mich, wobei man berücksichtigen muss, dass niemand die
Geheimnisse einer Ehe wirklich kennt (vor allem die Kinder nicht). Ich hielt
meine Mutter für eine Frau, die von niemandem etwas verlangt. Sie war immerhin
eine Frau, die sich als Heranwachsende in einem kalten See in Minnesota und
mit einem aus der Gemeindebibliothek entliehenen Buch mit dem Titel How to
Swim selbst das Schwimmen beigebracht hatte. In meinen Augen
gab es nichts, was diese Frau nicht alleine zuwege bringen würde.
Doch dann führte ich nicht lange vor meiner Abreise nach
Rom ein aufschlussreiches Gespräch mit meiner Mutter. Sie war nach New York
gekommen, um ein letztes Mal mit mir zu Mittag zu essen, und fragte mich -
sämtliche Kommunikationsregeln unserer Familie außer Kraft setzend - ganz
direkt, was zwischen mir und David vorgefallen sei. Und ebenso unverblümt
erzählte ich es ihr. Erzählte ihr alles. Wie sehr ich David liebte, aber wie
einsam und traurig es mich machte, mit diesem Menschen zusammen zu sein, der
ständig aus dem Zimmer, aus dem Bett, vom Planeten verschwand.
»Klingt irgendwie wie dein Vater«, sagte sie. Ein mutiges
und generöses Eingeständnis.
»Das Problem ist nur«, sagte ich, »ich bin nicht wie meine
Mutter. Ich bin nicht so taff wie du, Mom. Es gibt da ein Quantum an Zuneigung
und Nähe, das ich von einem Menschen, den ich liebe, einfach brauche. Ich muss
mich darauf verlassen können, dass er da ist, sonst gehe ich ein. Ich wünschte,
ich wäre so wie du, dann könnte ich diese Liebe mit David leben. Aber nicht auf
seine Zärtlichkeit bauen zu können, wenn ich sie brauche, macht mich kaputt.«
Und dann schockierte mich meine Mutter. Sie sagte: »All
die Dinge, die du dir in deiner Beziehung wünschst, Liz - all diese Dinge habe
ich mir auch immer gewünscht.«
In diesem Moment war es, als ob meine starke Mutter die
Hand über den Tisch ausgestreckt, die Faust geöffnet und mir einige der sauren
Äpfelchen gezeigt hätte, in die sie im Lauf der Jahrzehnte hatte beißen müssen,
um glücklich verheiratet zu sein (und sie ist - den
Umständen entsprechend - glücklich verheiratet). Nie zuvor, kein
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