Gilbert, Elizabeth
ist, dass er mal Republikaner werden
könnte.«
Außer Catherine habe ich keine Geschwister. Während
unserer Kindheit auf der elterlichen Farm in Connecticut gab es nur uns zwei.
Keine anderen Kinder weit und breit. Catherine war stark und dominant, Oberkommandierende
meines Lebens. Ja, ich lebte in Furcht und Schrecken vor ihr; niemandes Meinung
zählte - außer ihrer. Ich schummelte, wenn ich mit ihr Karten spielte, um zu
verlieren, damit sie nicht sauer auf mich wurde. Nicht immer waren wir Freundinnen.
Sie war genervt von mir, und ich hatte Angst vor ihr - bis, ja, bis ich
achtundzwanzig wurde und es allmählich satt hatte. Das war das Jahr, in dem ich
mich endlich behauptete, und ihre Reaktion darauf klang etwa so: »Warum hast
du nur so lange dazu gebraucht?«
Als wir gerade dabei waren, die neuen Bedingungen unserer
Beziehung festzuklopfen, geriet meine Ehe ins Schleudern. Und es wäre
Catherine ein Leichtes gewesen, meine Niederlage zu ihrem Sieg umzumünzen.
Immer war ich das gehätschelte Glückskind gewesen, Liebling der Familie wie
auch der Götter. Und stets war die Welt für mich ein bequemerer Ort gewesen
als für meine Schwester, die zuweilen so schwer vom Schicksal gebeutelt wurde.
Auf meine Scheidung und meine Depression hätte Catherine leicht mit einem »Ha,
nun seht es euch jetzt mal an, unser sonniges Gemüt!« reagieren können.
Stattdessen stand sie mir tatkräftig zur Seite. Wann immer ich in Not war,
auch mitten in der Nacht, konnte ich sie anrufen, und sie tröstete mich. Hörte
mir zu, wenn ich mich immer wieder fragte, warum ich so traurig war. Die
längste Zeit war sie mittelbar an meiner Therapie beteiligt. Nach jeder Sitzung
rief ich sie an und erstattete ihr Bericht über alles, was ich auf der Couch
meiner Therapeutin erkannt hatte, und sie sagte dann: »Ah ... Das erklärt ja
einiges.« Was hieß: »Das erklärt ja einiges über uns
beide.«
Inzwischen telefonieren wir fast jeden Tag miteinander - oder
taten es wenigstens, bis ich nach Rom zog. Ehe sich eine von uns ins Flugzeug
setzt, ruft sie immer die andere an und sagt ihr: »Ich weiß, wie morbide das
ist, aber ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe. Du weißt..., nur für
den Fall.« Und die andere entgegnet stets: »Nur für den Fall..., ich weiß.«
Gut vorbereitet, wie stets, trifft sie in Rom ein. Fünf
Führer hat sie dabei, die sie alle schon gelesen hat, und auch den Stadtplan
hat sie bereits in groben Zügen im Kopf. Noch ehe sie Philadelphia verließ, war
sie komplett informiert und im Bilde. Das ist ein klassisches Beispiel für den
Unterschied zwischen uns. Diejenige, die ihre ersten Wochen in Rom zu neunzig
Prozent ahnungslos und hundertprozentig glücklich mit ziellosen Streifzügen
verbringt, da ihr alles wie ein unerklärliches schönes Geheimnis erscheint, das
bin ich. Aber so kommt mir die Welt eigentlich immer vor. In den Augen meiner
Schwester dagegen gibt es nichts, was sich nicht erklären ließe -
vorausgesetzt, man hat Zugang zu einer guten Bibliothek. Sie ist eine Frau,
die in der Küche neben ihren Kochbüchern The
Columbia Encyclopedia stehen hat - und sie auch liest, und zwar
zu ihrem Vergnügen.
Es gibt ein Spiel, das ich gern mit meinen Freunden spiele
und das ich manchmal Pass auf! nenne.
Wann immer jemand über etwas Ausgefallenes nachdenkt (etwa: »Wer war der
heilige Ludwig?«), sage ich: »Pass auf!« Dann greife ich nach dem nächsten
Telefonhörer und wähle die Nummer meiner Schwester. Manchmal erwische ich sie
im Auto, weil sie gerade die Kinder von der Schule abholt, und sofort beginnt sie
laut zu grübeln: »Der heilige Ludwig ... Hm, das war ein französischer König,
der ... übrigens ein härenes Gewand trug, was interessant ist, weil... «
Meine Schwester kommt also nach Rom und zeigt mir meine
Stadt. Das ist Rom à la Catherine. Ihr Kopf steckt voller Fakten und Daten,
mit denen ich mich bisher nicht befasst habe, weil mein Verstand einfach nicht
so funktioniert. Das Einzige, was mich an einem Ort oder einer Person interessiert,
ist die Story, nur auf sie achte ich, nie aber auf ästhetische Details. (Erst
als Sofie mich einen Monat nach meinem Umzug in meiner neuen Wohnung besuchte
und meinte: »Hübsches rosa Badezimmer«, fiel mir auf, dass es tatsächlich pink
war. Strahlend pink vom Boden bis zur Decke - was mir, ehrlich gesagt, vorher
völlig entgangen war.) Viele Dinge, die das geübte Auge meiner Schwester
sofort entdeckt - die gotischen, romanischen oder
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