Gilbert, Elizabeth
sowie den Mann, dessen Job es ist,
hinter dem Ticketschalter zu sitzen (wo er sein Leben beklagt), und ihn
beknien, mir eine Fahrkarte nach Taormina zu verkaufen. Dann rattere ich die
Klippen und Strände der sizilianischen Ostküste entlang, bis ich Taormina erreiche,
wo ich zuerst ein Taxi und dann ein Hotel suche. Zuletzt muss ich dann noch den
richtigen Menschen finden, dem ich meine Lieblingsfrage stellen kann: »Wo isst
man denn hier am besten?« In Taormina entpuppt sich dieser Mensch als schläfriger
Polizist. Er überreicht mir einen winzigen Zettel, auf den er den Namen eines
obskuren Restaurants gekritzelt hat, sowie eine handgezeichnete Karte, die
erklärt, wie man das Lokal findet.
Das Restaurant entpuppt sich als kleine Trattoria. Die
freundliche ältere Inhaberin steht ohne Schuhe auf einem Tisch und putzt die
Fenster, immer darauf achtend, dass sie nicht die Weihnachtskrippe umstößt. Ich
benötige keine Speisekarte, sage ich ihr, sie solle mir nur bitte - da dies
mein erster Abend auf Sizilien sei - das Beste bringen, was sie hätten.
Vergnügt reibt sie sich die Hände und schreit ihrer noch älteren Mutter in der
Küche etwas auf Sizilianisch zu, und schon nach zwanzig Minuten bin ich eifrig
dabei, das zweifellos erstaunlichste Mahl zu verspeisen, das mir bisher in
Italien serviert wurde. Es ist Pasta, aber in einer Form, wie ich sie noch nie
zuvor gesehen habe - große, frische Teigblätter, die ravioliartig zur Form
(wenn auch nicht zur Größe) einer Bischofsmütze gefaltet sind, gefüllt mit
einem aromatischen Püree aus Oktopus und Tintenfisch, die, angemacht mit
frischen Muscheln und Gemüsejulienne wie ein heißer Salat, in einer nach Oliven
und Ozean schmeckenden Brühe serviert werden. Gefolgt von einem in Thymian
geschmorten Kaninchen.
Am nächsten Tag reise ich weiter nach Syrakus. Bei kaltem Regen
spuckt mich hier der Bus am frühen Abend an einer Straßenecke aus. Sofort bin
ich in diese Stadt verliebt. Fast dreitausend Jahre Geschichte habe ich in
Syrakus unter den Sohlen. Dem Mythos zufolge soll Dädalus von Kreta aus hierher
geflogen sein und Herkules einmal hier übernachtet haben. Syrakus war eine
griechische Kolonie, die Thukydides als »eine Stadt« bezeichnete, »die Athen in
nichts nachsteht«. Die einstmals mächtige Hafenstadt war das Verbindungsglied
zwischen dem antiken Griechenland und dem alten Rom. Viele große Dichter und
Wissenschaftler der Antike lebten hier. Platon bezeichnete Syrakus als den
idealen Ort für ein utopisches Experiment, an dem durch »unergründliche
göttliche Bestimmung« Herrscher zu Philosophen werden könnten und Philosophen
zu Herrschern.
Ich streife über die Märkte dieser Stadt, und mein Herz
stolpert fast vor Liebe, für die ich keine Erklärung habe, als ich einen alten
Mann mit schwarzer Wollmütze einen Fisch für einen Kunden ausnehmen sehe (er
hat sich die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt, so wie eine Näherin beim
Nähen ihre Stecknadeln zwischen den Zähnen hält; meisterlich und
hingebungsvoll bearbeitet er mit seinem Messer die Filets). Schüchtern frage
ich diesen Fischer, wo man in Syrakus am besten zu Abend essen kann, und nach
unserem Gespräch halte ich wieder einen Zettel in der Hand, der mich zu einem
kleinen namenlosen Restaurant lotst. Kaum habe ich dort Platz genommen,
serviert mir der Kellner eine luftige Wolke pistazienbestreuten Ricottas,
Brotstücke, die in aromatischen Ölen schwimmen, winzige Teller dünn geschnittenen
Fleischs mit Oliven, einen Salat aus gekühlten Orangen mit einem Dressing aus
roher Zwiebel und Petersilie. Und das, bevor mir überhaupt etwas von den Calamari,
der Spezialität des Hauses, zu Ohren kommt.
»Ungeachtet ihrer Verfassung kann keine Stadt in Frieden
leben«, schrieb Platon, »wenn ihre Bürger nichts anderes tun ... als zu
schmausen und zu trinken und sich ganz in den Belangen der Liebe zu
erschöpfen.«
Aber ist es so schlimm, wenn wir eine Weile so leben? Nur
für einige Monate unseres Lebens? Ist es so verwerflich, mit keinem größeren
Ehrgeiz durch die Zeit zu reisen als dem, die nächste herrliche Mahlzeit
aufzutreiben? Oder eine Sprache lediglich zu lernen, um sein Ohr an ihr zu
erfreuen? Oder in einem Park neben seinem Lieblingsbrunnen in der Sonne zu
dösen? Und es am nächsten Tag wieder zu tun?
Natürlich kann man nicht ewig so leben. Letztendlich
kommen uns Realität, Krieg, Traumata und Sterblichkeit in die Quere. Auch den
Sizilianern ist die harte Realität
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