Gilbert, Elizabeth
Phasen meiner Scheidungsjahre nicht mehr erlebt habe. Immer wieder
eilen die Gedanken zurück zu meiner gescheiterten Ehe und all der damit
verbundenen Scham und Wut. Ja, schlimmer, ich befasse mich wieder mit David.
Führe Streitgespräche mit ihm, bin zornig und einsam und erinnere mich an
alles Verletzende, das er je gesagt oder mir angetan hat. Mehr noch, ich kann
nicht aufhören, an das gemeinsam erlebte Glück zu denken, das erregende Delirium
unserer guten Zeiten. Ich kann mich gerade noch davon abhalten, aus dem Bett
zu springen und ihn mitten in der Nacht aus Indien anzurufen und dann ...
einfach den Hörer aufzulegen, wahrscheinlich. Oder ihn anzuflehen, meine Liebe
zu erwidern. Oder ihn wüst zu beschimpfen und ihm all seine Fehler und Macken
um die Ohren zu hauen.
Ich dachte, ich hätte mit meinem Exmann und mit David
längst abgeschlossen. Warum kommt das alles jetzt wieder hoch?
Ich weiß schon, was sie sagen würden, all die Altgedienten
in diesem Ashram. Sie würden sagen, das sei völlig normal, dass jeder das
durchmacht, dass intensive Meditation eben alles wieder hochbringt, dass man lediglich seine restlichen Dämonen austreibt ... Aber in
meiner gegenwärtigen Gemütsverfassung kann ich es nicht ertragen und will niemandes
Hippie-Theorien hören. Alles kommt wieder hoch, vielen herzlichen Dank. So wie
Essen wieder hochkommt, wenn einem übel ist.
Irgendwie schaffe ich es, wieder einzuschlafen, und habe
noch einen Traum. Keine Schlangen begegnen mir diesmal, sondern ein sehniger,
böser Hund, der mich verfolgt und blafft: »Ich werde dich töten. Ich werde dich
töten und auffressen!«
Zitternd und tränenüberströmt wache ich auf. Da ich meine
Zimmergenossinnen nicht stören will, verziehe ich mich ins Bad. Das Bad, immer
wieder das Bad! Gott helfe mir, aber jetzt hocke ich wieder auf einem
Badezimmerfußboden, und wieder mitten in der Nacht, und heule mir vor
Einsamkeit die Augen aus. Oh kalte Welt - wie satt ich dich und deine schrecklichen
Badezimmer doch habe.
Als das Heulen nicht aufhören will, hole ich mir ein Notizbuch
und einen Kugelschreiber (letzte Zuflucht einer Kanaille) und setze mich
wieder neben die Toilette. Ich schlage eine leere Seite auf und kritzele meinen
inzwischen schon vertrauten Appell darauf: Ich
brauche deine Hilfe.
Dann atme ich tief und erleichtert aus, als mein treuer
Freund (wer ist das bloß?) mir zur Seite springt:
»Ich bin ja da. Alles wird gut. Ich liebe dich. Ich werd dich nie im Stich
lassen ...«
48
Die Meditation am nächsten Morgen ist ein Desaster. Verzweifelt
bitte ich meinen Geist, Platz zu machen, damit ich Gott finden kann, aber mein
Geist fixiert mich mit eiserner Entschlossenheit und verkündet: »Nie werde ich
zulassen, dass du mich übergehst.«
Tatsächlich bin ich den ganzen nächsten Tag über so unausstehlich
und wütend, dass ich um das Leben eines jeden fürchte, der mir über den Weg
läuft. Ich blaffe diese arme Deutsche an, weil sie mich nicht versteht, als ich
ihr auf Englisch erkläre, wo der Buchladen ist. Ich bin so beschämt über
meinen Ausbruch, dass ich mich (wieder einmal!) flennend in einem Badezimmer
verstecke und anschließend furchtbar wütend auf mich bin, weil ich mich an den
Rat meiner Meisterin erinnere, nicht andauernd zusammenzubrechen, weil es
einem sonst zur Gewohnheit wird ... Aber was weiß sie schon davon? Schließlich
ist sie erleuchtet. Sie kann mir nicht helfen. Und mich verstehen schon gar
nicht ...
Ich will mit keinem reden. Ich kann jetzt niemanden ertragen.
Ich schaffe es sogar, Richard aus Texas eine Weile aus dem Weg zu gehen, bis er
mich beim Abendessen schließlich entdeckt und sich - mutiger Mann - in die
Rauchschwaden meines Selbsthasses setzt.
»Warum kapselst du dich plötzlich so ab?«, fragt er in seinem
schleppenden Singsang - Zahnstocher im Mund, wie immer.
»Frag nicht«, sage ich, fange aber an zu reden, erzähle
ihm alles und ende mit den Worten: »Und das Schlimmste ist, dass ich von David
einfach nicht loskomme. Ich dachte, ich war über ihn hinweg, aber jetzt kommt
alles wieder hoch.«
»Gib dir noch ein halbes Jahr Zeit, dann geht's dir
besser.«
»Ich hab mir schon ein Jahr Zeit gelassen, Richard.«
»Dann gib dir noch ein halbes. Schlag immer noch ein halbes
drauf, bis es vorbei ist. So was braucht seine Zeit.«
Erregt wie ein Stier schnaube ich durch die Nase.
»Groceries«, sagt Richard, »hör mir zu. Eines Tages wirst
du auf diese Zeit zurückblicken und
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