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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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liebsten hätte ich
das Universum durch eine riesige Notbremse zum Stehen gebracht - eine Notbremse
wie die, die ich bei unserem Schulausflug nach New York in den U-Bahn-Wagen
gesehen hatte. Ich wollte eine Pause ausrufen, wollte verlangen, dass alle
anhielten, bis ich das alles begriffen hatte. Dieser Drang, das ganze Universum
zum Anhalten zu zwingen, bis ich mich wieder gefasst hatte, könnte wohl der
Anfang des sen gewesen sein, was mein lieber Freund Richard aus Texas
als mein Problem mit der Kontrolle bezeichnet.
Natürlich waren meine Bemühungen und Sorgen vergeblich. Je stärker ich mich auf
die Zeit fixierte, umso schneller raste sie dahin, und der Sommer ging so rasch
vorbei, dass mir der Kopf davon schmerzte und ich jeden Abend dachte: Wieder
ein Tag vorbei!, und in Tränen ausbrach.
    Ich habe einen alten High-School-Freund, der heute mit
geistig Behinderten arbeitet und erzählt, dass seine autistischen Patienten ein
besonders herzzerreißendes Bewusstsein der Vergänglichkeit hätten, so als fehle
ihnen der mentale Filter, der es uns Übrigen ermöglicht, unsere Sterblichkeit
immer wieder zu vergessen und einfach draufloszuleben. Jeden Morgen fragt
einer dieser Patienten Rob nach dem Datum, und am Abend fragt er ihn dann: »Rob
- wann ist wieder ein 4. Februar?« Und noch ehe Rob ihm eine Antwort geben
kann, schüttelt der junge Mann traurig den Kopf und sagt: »Ich weiß, ich weiß,
schon gut... Erst nächstes Jahr wieder, nicht wahr?«
    Ich kenne dieses Gefühl nur allzu gut. Das traurige Verlangen,
das Ende eines Tages hinauszuzögern. Diese Traurigkeit ist eine der großen
Prüfungen der menschlichen Existenz. Soweit wir wissen, sind wir die einzige
Spezies dieses Planeten, der die Gabe - oder auch der Fluch - des Bewusstseins
der eigenen Sterblichkeit zuteil wurde. Ob wir als Spezies damit umgehen
können, weiß ich nicht. Alles stirbt letztlich; und nur wir haben das
zweifelhafte Glück, täglich darüber nachdenken zu können. Wie kommt man mit
diesem Wissen zurecht? Als ich neun war, konnte ich nur weinen. Später
veranlasste mich mein hypersensibles Bewusstsein für das rasende Tempo der
Zeit zu einem Leben auf der Überholspur. Wenn mir schon ein so kurzer
Aufenthalt auf Erden beschieden war, musste ich alles mir Mögliche tun, um ihn
Minute für Minute auszukosten. Daher all die Reisen, all die Liebesgeschichten,
all der Ehrgeiz, all die Pasta. Eine der Freundinnen meiner Schwester war
immer überzeugt, Catherine habe zwei oder drei jüngere Schwestern, weil sie
fortwährend von der Schwester hörte, die in Afrika war, der Schwester, die auf
einer Ranch in Wyoming arbeitete, der Schwester, die Kellnerin in New York
war, von der, die ein Buch schrieb, und von der, die heiraten wollte - dabei
konnte es sich ja wohl keineswegs um ein und dieselbe Person handeln, oder? Tatsächlich
hätte ich mich, wäre es nach mir gegangen, liebend gern in viele Liz Gilberts
aufgespalten, um ja keinen Augenblick dieses Erdenlebens zu versäumen. Was
sage ich? Ich spaltete mich tatsächlich in mehrere Liz Gilberts auf, die eines
Nachts im Alter von etwa einunddreißig Jahren auf einem Badezimmerfußboden
alle gleichzeitig erschöpft zusammenbrachen.
    Allerdings ist mir auch klar, dass nicht jeder eine solche
metaphysische Krise erlebt. Manche von uns haben Spezialantennen für
Sterblichkeitsängste, während andere sich leichter mit der ganzen Sache
abfinden. Natürlich trifft man viele apathische Menschen auf dieser Welt, aber
man trifft auch solche, die die Bedingungen, unter denen das Universum
funktioniert, offenbar dankbar akzeptieren können und sich um seine Paradoxien
und Ungerechtigkeiten nicht allzu sehr zu kümmern scheinen. Ich habe eine
Freundin, deren Großmutter immer sagte: »Es gibt kein Problem auf dieser Welt,
dem man nicht mit einem heißen Bad, einem Glas Whiskey oder dem Gebetbuch
beikommen könnte.« Für einige Leute trifft das wohl tatsächlich zu. Bei anderen
sind drastischere Maßnahmen vonnöten.
    Und an dieser Stelle möchte ich meinen Freund, den irischen
Farmer, erwähnen, der auf den ersten Blick ganz und gar nicht wie jemand
aussieht, den man in einem indischen A shram erwarten würde. Aber Sean gehört
zu jenen Menschen, wie auph ich, die mit der Unruhe, dem verrückten und
unstillbaren Drang, die menschliche Existenz zu begreifen, auf die Welt
gekommen sind. In seinem kleinen Heimatdorf in der Grafschaft Cork schien es
keine Antworten auf seine Fragen zu geben, so dass er in

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