Gilbert, Elizabeth
(der fragte, warum wir angesichts eines
so hemmungslos liebenden Gottes nicht alle grölende Besoffene seien), als sie
in ihrer Autobiografie herausschrie: Wenn diese Erfahrungen Tollheit seien,
dann »flehe ich dich an, Vater, lass uns alle toll sein!«.
In den folgenden Sätzen ihres Buches ist es, als wollte
sie verschnaufen. Liest man heute die heilige Teresa, spürt man fast, wie sie
aus dieser delirierenden Erfahrung heraustritt, dann einen Blick auf ihre
Umgebung und das politische Klima des mittelalterlichen Spaniens wirft (wo sie
unter einer der repressivsten religiösen Tyranneien der Geschichte lebte) und
sich nüchtern und pflichtbewusst für ihre Erregung entschuldigt. »Vergebt mir,
dass ich so kühn war«, schreibt sie und wiederholt, dass man all ihr
schwachsinniges Geplapper ignorieren solle, weil sie natürlich nur eine Frau
und ein Wurm und verächtliches Ungeziefer sei und so weiter. Man kann fast
sehen, wie sie ihre Schwesterntracht glättet und die letzte lose Haarsträhne
zurückstreicht - ihr göttliches Geheimnis, das heimlich lodernde Feuer.
In der yogischen Tradition Indiens heißt dieses göttliche
Geheimnis Kundalini Shakti und wird als Schlange abgebildet,
die aufgerollt am unteren Ende der Wirbelsäule ruht, bis sie durch Berührung
eines Meisters oder durch ein Wunder erwacht, durch die sieben Chakren oder
Räder (die man auch die sieben Seelenwohnungen nennen könnte) aufsteigt und
schließlich den Scheitel durchbricht und in die Gottesvereinigung explodiert.
Im sichtbaren Körper, sagen die Yogis, existieren diese Chakren nicht, man
solle sie dort also auch nicht suchen; sie existieren nur im sublimierten
Körper, dem Leib, auf den sich die buddhistischen Lehrer beziehen, wenn sie
ihre Schüler ermuntern, ein neues Selbst aus dem physischen Körper zu ziehen,
wie man ein Schwert aus der Scheide zieht. Mein Freund Bob, der sowohl
Yogaschüler als auch Hirnforscher, ist, hat mir erzählt, dass ihn die
Vorstellung der Chakren schon immer aus der Fassung gebracht habe, dass er sie
in einem sezierten menschlichen Körper wirklich sehen wollte, um zu glauben,
dass sie existierten. Doch nach einer besonders eindringlichen
Transzendenzerfahrung in der Meditation gelangte er zu einem neuen
Verständnis. »Genauso wie es beim Schreiben eine buchstäbliche und eine poetische
Wahrheit gibt«, sagte er, »besitzt auch der menschliche Körper eine
buchstäbliche und eine poetische Anatomie. Die eine sieht man, die andere
nicht. Die eine besteht aus Knochen, Zähnen und Fleisch, die andere aus
Energie, Gedächtnis und Glauben. Wahr aber sind sie beide.«
Ich mag es, wenn sich zwischen Wissenschaft und Religion
Berührungspunkte ergeben. Kürzlich entdeckte ich in der New York
Times einen Artikel über ein Team von Neurologen, die einen
tibetanischen Mönch - als Freiwilligen für einen experimentellen Gehirn-Scan -
an alle möglichen Drähte anschlossen. Sie wollten sehen, was, wissenschaftlich
betrachtet, mit einem transzendierenden Geist im Augenblick der Erleuchtung
geschieht. Im Gehirn eines denkenden Menschen tobt fortwährend ein Sturm von
elektrischen Impulsen, der sich in einem Gehirn-Scan in Form gelber und roter
Blitze niederschlägt. Je wütender oder leidenschaftlicher der Betreffende
wird, umso heftiger leuchten die roten Blitze. Mystiker aller Zeiten und
Kulturen hingegen haben eine Besänftigung des Gehirns während der Meditation
konstatiert und die vollständige Vereinigung mit Gott als blaues Licht
beschrieben, das sie von der Mitte ihres Schädels ausstrahlen sehen. In der
yogischen Tradition nennt man dieses Licht »die blaue Perle«, und sie zu
finden ist das Ziel aller Suchenden. Selbstverständlich war dieser
tibetanische Mönch, dessen Meditation man am Monitor überwachte, in der Lage,
seinen Geist so vollständig zu beruhigen, dass keine roten oder gelben Blitze
mehr zu sehen waren. Tatsächlich war die gesamte neurale Energie dieses Mannes
zusammengeflossen und hatte sich schließlich in der Mitte seines Gehirns - man
konnte es auf dem Bildschirm unmittelbar verfolgen - zu einer kleinen Perle aus
blauem Licht versammelt. Genau wie die Yogis es immer beschrieben haben.
Dies ist die Bestimmung der Kundalini
Sbakti.
Im mystischen Indien wie auch in vielen schamanistischen
Traditionen wird die Kundalini Shakti als gefährliche
Kraft betrachtet - falls Sie unbeaufsichtigt mit ihr herumspielen; der
unerfahrene Yogi kann dabei buchstäblich durchdrehen. Man braucht einen
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