Gilbert, Elizabeth
das, was man für Schlaf hält, tatsächlich Schlaf ist;
manchmal ist es nur eine andere Bewusstseinsebene.) Wenn ich erwache oder was
auch immer, spüre ich, wie diese weiche blaue elektrische Energie in Wellen
durch meinen Körper pulsiert. Ein bisschen beunruhigend ist das, aber auch
verblüffend. Ich weiß nicht, was ich tun soll, also rede ich mit dieser
Energie. »Ich glaube an dich«, sage ich zu ihr, und als Reaktion darauf wird
sie geballter. Schrecklich mächtig ist sie inzwischen und raubt mir
buchstäblich alle Sinne. Summt vom unteren Ende meiner Wirbelsäule nach oben.
Mein Hals fühlt sich an, als wollte er sich strecken und drehen, und ich nehme
die allerseltsamste Sitzhaltung ein - kerzengerade wie ein guter Yogi, nur dass
ich das eine Ohr fest auf die linke Schulter presse. Ich weiß nicht, warum mein
Hals und mein Kopf sich derart verrenken, aber ich werde mich nicht mit ihnen
streiten; sie wollen es so. Die hämmernde blaue Energie stampft weiter durch
meinen Körper, und eine Art Trommelgeräusch klingt in meinen Ohren; es ist
jetzt so stark, dass ich es wirklich nicht mehr aushalten kann. Es macht mir
derartig Angst, dass ich zu ihm sage: »Ich bin noch nicht bereit!« und schnell
die Augen aufschlage. Alles verschwindet. Ich bin wieder in einem Raum, wieder
in der vertrauten Umgebung. Ich schaue auf meine Uhr. Fast eine Stunde lang war
ich hier - oder sonst wo.
Und ich hechele. Hechele buchstäblich.
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Um zu verstehen, was es mit dieser Erfahrung auf sich hat,
was »da drinnen« geschehen ist (sowohl »in der Meditationshöhle« als auch »in
mir«), muss man sich einem ziemlich esoterischen Thema zuwenden - nämlich der Kundalini
Shakti.
In allen Religionen der Welt gibt es seit jeher Gruppen
von Gläubigen, die eine direkte, transzendente Gotteserfahrung suchen und sich
von Dogmentreue und Schriftgelehrsamkeit distanzieren, um Gott persönlich zu
begegnen. Das Interessante an diesen so genannten Mystikern ist, dass sie bei
der Schilderung ihrer Erlebnisse letztlich alle dieselbe Erfahrung beschreiben.
Gewöhnlich vollzieht sich die Vereinigung mit Gott in einem
meditativen Zustand und wird durch eine Energiequelle bewirkt, die den ganzen
Körper mit einem euphorisierenden, elektrisierenden Licht erfüllt. Diese
Energie nennen die Japaner ki, chinesische
Buddhisten bezeichnen sie als chi, bei den
Balinesen heißt sie taksu, bei den
Christen »Heiliger Geist« und bei den Buschmännern der Kalahari num (ihre heiligen
Männer schildern sie als schlangengleiche Macht, die im Rückgrat aufsteigt und
ein Loch in den Kopf bläst, durch welches die Götter Eingang finden). Die
islamischen Sufi-Dichter bezeichneten die göttliche Energie als »die Geliebte«
und verfassten religiöse Gedichte auf sie. Die australischen Aborigines beschreiben
sie als eine Schlange am Himmel, die in den Medizinmann herabsteigt und ihm
überirdische Kräfte verleiht. In der jüdischen Kabbala heißt es, dass diese
Vereinigung mit dem Göttlichen sich über Stufen des spirituellen Aufstiegs
vollziehe und mittels einer Energie, die entlang einer Reihe unsichtbarer
Meridiane durch das Rückgrat verläuft.
Die mystischste unter all den Gestalten des Katholizismus,
die heilige Teresa von Avila, beschrieb
ihre Vereinigung mit Gott als den körperlichen Aufstieg des Lichts durch sieben
innere »Wohnungen« ihres Seins, um danach zu Gottes Gegenwart durchzubrechen.
Immer wieder geriet sie in so tiefe meditative Trancen, dass die anderen Nonnen
ihren Puls nicht mehr fühlen konnten. Immer wieder bat sie ihre Mitschwestern,
niemandem zu erzählen, was sie gesehen hatten, da es »ein gar außerordentlich
Ding sei und wahrscheinlich beträchtliches Gerede zur Folge hätte« (von einer
möglichen Unterredung mit dem Inquisitor ganz zu schweigen). Die größte
Herausforderung, schrieb die Heilige in ihren Erinnerungen, bestehe darin, bei
der Meditation nicht den Intellekt zu wecken, denn alle Bewegungen des Geistes
- sogar die inbrünstigsten Gebete - löschten den göttlichen Brand. Sobald der
lästige Verstand »beginnt, Reden zu verfassen und Argumente zu erdenken, vor
allem, wenn diese klug sind, wird er sich alsbald einbilden, er tue wichtige
Arbeit«. Könne man diese Gedanken jedoch überwinden - so Teresa - und steige
zu Gott empor, so sei da »glorreiche Verwirrung, ein himmlischer Wahnsinn, in
welchem man wahre Weisheit erlangt«. Ohne es zu ahnen, gab Teresa Gedichte des
persischen Sufi-Mystikers Hafis wieder
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