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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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Lehrer
- einen Guru -, der einen auf diesem Weg
begleitet, und idealerweise auch einen sicheren Ort - einen Ashram -, an dem man
sich diese Praktiken aneignen kann. Die Berührung des Gurus (ob persönlich
oder mittels einer eher übernatürlichen Begegnung, wie in einem Traum), heißt
es, befreie die am unteren Ende der Wirbelsäule aufgerollte, gebundene Kundalini-Hnergie, so dass sie nach oben, zu Gott, zu wandern beginne. Der Augenblick
dieser Freisetzung heißt Shaktipat, göttliche
Initiation, und ist die größte Gabe eines erleuchteten Meisters. Zwar kann sich
der Schüler nach dieser Berührung noch immer jahrelang quälen, aber die Reise
in Richtung Erleuchtung hat begonnen. Die Energie ist freigesetzt.
    Ich habe die Shaktipattmtmtion vor zwei
Jahren empfangen, als ich meine Meisterin - daheim in New York - zum ersten
Mal traf. Es war während eines Einkehrwochenendes in ihrem Ashram in den
Catskills. Offen gestanden, hatte ich im Anschluss daran keine besonderen
Gefühle. Irgendwie hatte ich auf eine verblüffende Begegnung mit Gott gehofft,
vielleicht auf ein paar blaue Blitze oder eine prophetische Vision, aber ich
klopfte mich auf besondere Effekte ab und fühlte mich nur irgendwie hungrig,
wie immer. Damals dachte ich, dass es mir wahrscheinlich am Glauben fehlte, um
je etwas wirklich Ungestümes wie die entfesselte Kundalini
Shakti zu erleben. Dachte, dass ich zu verkopft sei, nicht intuitiv
genug, und dass mein Erbauungspfad wahrscheinlich eher intellektuell als
esoterisch sein würde. Ich würde beten, Bücher lesen, interessante Gedanken
haben, aber wahrscheinlich nie die Stufe göttlich-meditativer Seligkeit erklimmen,
die die heilige Teresa beschreibt. Aber das war schon okay. Ich liebte die
religiösen Übungen. Nur die Kundalini Shakti würde mir
eben vorenthalten bleiben.
    Am nächsten Tag aber geschah etwas Interessantes. Wieder
waren wir alle um die Meisterin versammelt. Sie leitete die Meditation, und
inmitten von alledem schlief ich ein (oder was auch immer) und hatte einen
Traum. In diesem Traum befand ich mich an einem Strand, am Meer. Die Wellen
waren riesig und beängstigend und türmten sich immer höher. Plötzlich tauchte
ein Mann neben mir auf. Es war der Guru meiner Meisterin - ein großer
charismatischer Yogi, den ich hier nur als Swamiji (das
Sanskritwort für »geliebter Mönch«) bezeichnen werde. Swamiji war 1982 gestorben.
Ich kannte ihn nur von den Fotos, die überall im Ashram hingen. Aber auf den
Fotos wirkte er immer ein bisschen zu beängstigend, ein bisschen zu mächtig und
zu hitzig. Lange Zeit mied ich den Blick, mit dem er von den Wänden auf mich
herabstarrte. Er war irgendwie überwältigend. Nicht meine Sorte Guru. Stets
hatte ich meine schöne, mitfühlende Meisterin dieser toten (und immer noch
grimmigen) Gestalt vorgezogen.
    Jetzt aber war Swamiji in meinem Traum, stand mit all seiner
Macht neben mir am Strand. Ich hatte entsetzliche Angst. Er deutete auf die
heranrollenden Wellen und sagte streng: »Denk dir etwas aus, damit das nicht mehr
passiert! « Panisch kramte ich ein Notizbuch hervor und versuchte, Erfindungen
zu skizzieren, die den Vormarsch der Wellen stoppen sollten. Ich zeichnete
gewaltige Deiche, Kanäle und Dämme. Aber all meine Entwürfe waren so lächerlich
und sinnlos. Ich wusste, dass ich hier absolut fehl am Platz war (ich war keine
Ingenieurin!), aber ich spürte, wie Swamiji mich ungeduldig und missbilligend
beobachtete. Schließlich gab ich auf. Keine meiner Erfindungen war genial
genug, um diese Wellen aufzuhalten.
    Und da hörte ich Swamiji lachen. Ich blickte auf zu diesem
winzigen Inder in seinen orangefarbenen Gewändern, und wahrhaftig, er platzte
fast vor Lachen, krümmte sich vor Begeisterung und wischte sich Freudentränen
aus den Augen.
    »Sag mir, meine Liebe« - er deutete auf den mächtigen,
endlos wogenden Ozean -, »sag mir bitte, wie genau du dem Einhalt
gebieten willst.«
     
    47
     
    Zwei Nächte hintereinander habe ich jetzt schon geträumt,
dass eine Schlange in mein Zimmer kommt. In spiritueller Hinsicht, habe ich
gelesen, ist das ein günstiges Omen (und nicht nur in den östlichen Religionen;
auch der heilige Ignatius von Loyola zum Beispiel hatte immer wieder Schlangenvisionen),
was aber den Schlangen nichts von ihrer Lebendigkeit und ihrem Schrecken
nimmt. Schwitzend erwache ich. Schlimmer noch, sobald ich wach bin, beginnt
mein Verstand mich aufs Neue in Panik zu versetzen, wie ich es seit den
schlimmsten

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