Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
würde ihnen oben auflauern.
Dadurch war Raphael im Nachteil, denn das Anwesen war für einen Menschen umgebaut worden, also nicht mehr auf die Bedürfnisse himmlischer Wesen eingestellt. Es gab keine hohen Fenster, durch die er direkt in den Wohnbereich hätte hineinfliegen können. Er würde die Tür nehmen müssen. Elena zupfte ihn erneut, bis er sich zu ihren Lippen hinunterbeugte.
»Lass mich reingehen, um ihn abzulenken. Du kommst gleich hinterher– da bleibt ihm keine Zeit mich zu töten.«
Hätte ihm jemand, bevor er Elena kennengelernt hatte, dieses Vorgehen empfohlen, hätte er, ohne mit der Wimper zu zucken, geantwortet: »Ja, schickt den Jäger rein, um den Blutgeborenen abzulenken.« Und wenn der Jäger dabei starb, so war das ein geringer Preis für einen gewonnenen Krieg. Aber jetzt kannte er sie, hatte sie genommen, jetzt gehörte sie zu ihm.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, kniff sie die Augen zusammen.
»Duck dich beim Reingehen«, sagte er und wusste, dass sie seine plötzlichen Worte erschreckt hatten. »Er wird auf deinen Kopf zielen. Roll dich zusammen.«
Sie nickte. »Er ist ganz sicher da drin. Die Fährte ist so stark, so intensiv, sein Geruch ist mir schon ins Blut übergegangen.« Dann bewegte sie sich auf den Eingang zu.
Die nächsten Sekunden vergingen in rasender Schnelle. Elena ließ sich hineinrollen, dicke Brocken flogen vom Eingang, Wutgeheul, und dann stand Rapahael mitten im Raum, sah, wie Uram Energieblitze auf seine Jägerin abfeuerte.
Er stieg senkrecht auf, sammelte seine eigene Energie. Auch aus diesem Grund war er mit der Leitung der Jagd beauftragt worden. Nur vier Vertreter des Kaders waren in der Lage, Energieblitze zu schaffen. Eine Fähigkeit, die mit zunehmendem Alter heranreifte– aber nur, wenn die Anlagen dazu bereits vorhanden waren. Und anders als bei der Stille musste diese Energie nicht nur aus ihm selbst herauskommen. Beim Aufsteigen zog er zusätzlich Energie von allen möglichen Stromquellen ab, verursachte einen Kurzschluss in der Lampe, die im Erdgeschoss brannte.
Noch bevor Uram ihn gesehen hatte, feuerte Raphael schon den ersten Blitz auf ihn ab. Er landete mitten auf seiner Brust und schleuderte ihn gegen die Wand. Doch Uram war nicht umsonst ein Erzengel. Er konnte den Zusammenstoß mit der Wand abfangen und konterte mit einem heißen roten Feuerball. Geschickt wich Raphael aus, denn wenn seine Flügel davon getroffen wurden, hätte er sich nicht in der Luft halten können. Himmlisches Feuer gehörte zu den wenigen Dingen, die einem Unsterblichen ernsthaft schaden konnten.
Himmlisches Feuer und die Pistole einer Jägerin, korrigierte er sich. Elena, hast du die kleine Pistole dabei, mit der du mich entmannt hast?
Erneuter Austausch von Blau und Rot, riesige Löcher in den Wänden, Staub rieselte unaufhörlich leise zu Boden. Während sie kämpften, beobachtete er Uram, er wollte das Ungeheuer in ihm sehen. Doch der Erzengel sah aus wie immer, seine neuen Reißzähne verborgen, ganz darauf konzentriert, Raphaels Angriffe abzuwehren und seinerseits anzugreifen.
Ein Feuerball sengte Raphael die Flügelspitzen an. Den Schmerz in seinen verletzten Nervenenden schüttelte er einfach ab, erwiderte das Feuer, erwischte Urams linke Flügelspitze. Mit entblößten Zähnen heulte dieser auf, und das Monstrum in ihm gab sich endlich zu erkennen: rotes Feuer in den Augen, bis weit über die Unterlippe reichende Eckzähne… und tanzende Flammen in den Händen.
Das Blut hatte ihm noch mehr Kraft verliehen.
Das war die Anziehung, die Versuchung, der Wahnsinn. Nachdem das Übel sich erst einmal in ihm ausgebreitet hatte, vervielfältigte das Blut die Kräfte eines Engels ins Unermessliche. Aber zu diesem Zeitpunkt, ganz gleich, wie sie nach außen hin wirken mochten, waren die Blutgeborenen bereits endgültig irrsinnig. Raphael hingegen war kein Anfänger mehr, der sich in die Enge treiben ließ. Im letzten Moment ließ er sich fallen, und das Himmlische Feuer traf die Wand hinter ihm, eine Außenmauer, in deren unmittelbarer Nähe er sich noch Sekunden vorher befunden hatte, vernichtete alles ringsum und riss ein Loch hinein.
Laut krachend erklang ein Schuss. Uram kippte zur Seite, taumelte, und Raphael entdeckte einen Riss im unteren Teil seines Flügels. Er zielte auf die verletzte Stelle, traf wieder und richtete ziemlich viel Schaden an. Aber Uram gab nicht auf. Er wich Raphaels zweitem Angriff aus und flog durch das Loch in der Mauer ins
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