Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
Sitzungen, kein Vorstand. Kein langes Trara.
»Danke.«
»Mhm.« Finger flogen über die Tastatur. »Eine Sache noch– ich habe das Gefühl, dass irgendjemand unauffällig beobachtet, wer sich Zugang zu den Dateien der höheren Geheimhaltungsstufe verschafft.«
»Wer denn?« Doch sie kannte die Antwort bereits. »Mit welchem Recht?«
»Mit demselben Recht, mit dem er auch meine Leute anheuert, ohne mir auch nur das Geringste zu sagen«, platzte es aus Sara heraus. »Als Direktorin bin ich für den Schutz meiner Jägerinnen und Jäger verantwortlich. Raphael wird noch zu hören bekommen, dass…«
»Mach das nicht«, rief Elena flehentlich aus. »Bitte, Sara, lass die Finger von ihm. Ich bin nur noch am Leben, das stimmt wirklich, weil er mich braucht. Sonst würdest du wahrscheinlich einen vergnüglichen Abend damit verbringen, meinen Körper«– oder was davon übrig geblieben wäre– »im Leichenschauhaus zu identifizieren.«
»Herrgott, Elena. Ich habe einen Eid geleistet, dass ich meine Jäger beschütze, und ich gebe nicht klein bei, bloß weil Raphael so ein fürchterliches M…«
»Dann tu es Zoe zuliebe«, unterbrach Elena sie. »Oder soll sie etwa ohne Mutter aufwachsen?«
»Miststück.« Dabei kam Saras Stimme einem Knurren verdächtig nahe. »Wenn ich dich nicht so gern hätte, dann würde ich jetzt kommen und dir eine Abreibung verpassen. Das ist eine bescheuerte Erpressung.«
»Versprich es mir, Sara.« Ihre Hand umklammerte den Hörer. »Diese Jagd wird schwerer sein als alle anderen zuvor– ich möchte mir dabei nicht auch noch um dich Sorgen machen müssen. Versprich es.«
Lange Zeit gar nichts. »Ich gebe dir mein Wort, mich nicht an Raphael zu wenden… es sei denn, du schwebst in Lebensgefahr. Mehr kann ich dir nicht versprechen.«
»Das reicht mir.« Nun musste sie nur dafür Sorge tragen, dass Sara niemals erfuhr, dass die Jagd an sich schon einem beinahe sicheren Tod gleichkam. Ein Fehler– und es hieß: Auf Nimmerwiedersehen, Elena P. Deveraux.
Es piepte in der Leitung. »Ich bekomme noch einen Anruf– wahrscheinlich Ash«, sagte Sara.
Das Letzte, was Elena von Ashwini a.k.a. Ash a.k.a. Ashblade gehört hatte, war, dass sie in den Sümpfen unterwegs war, um einen Cajunvampir mit Samtstimme einzufangen, der es sich mit schöner Regelmäßigkeit mit den Engeln verdarb… , um dann mit Ash Katz und Maus zu spielen. »Ist sie immer noch unten in Louisiana?«
»Nein. Der Kerl hat sich jetzt zu einer ›Europatournee‹ entschieden.« Sara kicherte nicht gerade ladylike. »Weißt du, eines Tages wird er sie noch zur Weißglut treiben, dann endet er womöglich als öffentlicher Nackedei, honigglasiert, mit einem Pfahl im Herzen und einem ›Beiß-mich‹-Schild um den Hals.«
»Besorg mir schon mal Karten.« Als Elena einhängte, hörte sie Sara immer noch lachen; sie rieb sich das Gesicht und beschloss, an die Arbeit zu gehen. Diese Jagd würde in jedem Fall stattfinden– da konnte sie genauso gut versuchen, mit heiler Haut davonzukommen.
Sie zog die Bluse aus der Hose und tauschte die schwarze Anzughose mit einer normalen Jeans; ihr Haar band sie nachlässig zu einem Pferdeschwanz, dann öffnete sie ihren Computer zum zweiten Mal. Da sie sich vom Kader nicht über die Schulter sehen lassen wollte– auch wenn es ihre Arbeitgeber waren–, loggte sie sich über einen Browser ein und wählte statt der Datenbanken der Gilde eine öffentliche Suchmaschine.
Dann tippte sie ihren Suchbefehl ein: Uram.
5
Raphael schloss die Tür hinter sich und betrat die riesige unterirdische Bibliothek, die in dem stilvollen Landhaus auf Martha’s Vineyard verborgen lag. Im Kamin brannte ein Feuer, und außer den Wandleuchtern, die eigentlich mehr Schatten als Licht verbreiteten, war es die einzige Lichtquelle. An diesem Ort spürte man die Jahrhunderte, wusste, dass es ihn schon sehr viel länger gab als das moderne Haus darüber.
»Es ist so weit«, sagte er und setzte sich dabei in einen der Ohrensessel, die im Halbkreis um das Feuer standen. Ihm war es eigentlich zu warm, doch einige der Seinen kamen aus wärmeren klimatischen Gegenden und spürten den Herbst bereits in ihren Knochen.
»Berichte uns«, sagte Charisemnon. »Berichte uns von dem Jäger.«
Während er sich in seinem Sessel zurücklehnte, ließ Raphael seinen Blick über die Runde schweifen. Der Kader der Zehn hatte sich hier versammelt. Doch war er unvollzählig. »Wir müssen Uram ersetzen.«
»Noch nicht. Nicht bis…«,
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