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Gilde der Jäger 01 - Engelskuss

Gilde der Jäger 01 - Engelskuss

Titel: Gilde der Jäger 01 - Engelskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. Singh
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Knochenbrüche davongetragen, dass die Ärzte bezweifelten, dass er sich jemals wieder würde bewegen können. Durch einen Trümmerbruch seiner Augenhöhlen wurde er blind. Die Kehle wurde ihm gerade genug gequetscht, um seine Stimmbänder zu zerstören… doch er wurde am Leben gelassen.
    Er konnte nicht mehr tippen oder einen Stift halten.
    Er konnte nicht mehr sprechen.
    Er konnte nicht mehr sehen.
    Niemand hatte gewagt, es laut auszusprechen, doch die Botschaft war deutlich genug gewesen. Wer sich Uram widersetzte, wurde zum Schweigen gebracht. Der Politiker, der anschließend Chernoffs Platz einnahm, gelobte Uram ewige Treue, noch bevor er den Amtseid leistete. Über Raphael konnte man denken, was man wollte, aber zumindest war er kein Tyrann. Dabei machte sie sich nichts vor; er regierte Nordamerika mit eiserner Hand, dennoch mischte er sich nicht in die alltäglichen Angelegenheiten der Menschen ein. Vor ein paar Jahren hatte es einmal einen Kandidaten für das Bürgermeisteramt gegeben, der im Fall seiner Wahl dem Erzengel die Stirn bieten wollte. Raphael hatte den Wahlkampf zugelassen. Und als ein Journalist es gewagt hatte, ihn darauf anzusprechen, hatte er nur ein leichtes Lächeln für ihn übrig gehabt.
    Dieses Lächeln, dieser Fingerzeig, dass er die gesamte Situation lächerlich fand, genügte, um die Hoffnungen dieses Bürgermeisterkandidaten so sicher zu versenken wie die Titanic. Der Mann stahl sich klammheimlich fort und ward nie mehr gesehen. So hatte Raphael gesiegt, ohne dabei auch nur einen Tropfen Blut zu vergießen. Und in den Augen der Bevölkerung hatte er seine einflussreiche Stellung behaupten können.
    »Das macht ihn aber nicht zu einem Engel«, murmelte sie, beunruhigt darüber, welche Richtung ihre Gedanken genommen hatten. Im Vergleich zu Uram mochte Raphael eine Lichtgestalt sein, doch das hatte nicht viel zu bedeuten.
    Schließlich war er es gewesen, der damit gedroht hatte, der kleinen Zoe etwas anzutun, und niemand sonst.
    »Mistkerl«, murmelte sie und wiederholte so Saras Verwünschung. Mit dieser Drohung stellte er sich mit Uram auf die gleiche Stufe. Dieser hatte schon einmal eine gesamte Schule mit Fünf-bis Zehnjährigen vernichtet, nur weil die Dorfbewohner ihn gebeten hatten, seinen Lieblingsvampir aus ihrer Mitte zu entfernen. Normalerweise hätte Elena eine solche Forderung missbilligt, doch der Vampir hatte sich gewaltsam Blut verschafft. Mehrere Frauen im Dorf hatte er vergewaltigt und sie völlig gebrochen zurückgelassen. Die Dorfbewohner hatten sich Hilfe suchend an Uram gewandt. Doch der reagierte darauf, indem er ihre Kinder tötete und ihre Frauen raubte. Dreißig Jahre waren seitdem vergangen, und von den Frauen war keine einzige wieder zurückgekommen. Das Dorf existierte nicht mehr.
    Ohne jeden Zweifel war er ein schlechter Mann. Und sie war…
    Etwas klopfte gegen die Glasscheibe.
    Schnell griff sie zu dem Messer, das unter dem Couchtisch verborgen war, bevor sie aufsah. Ihr Blick verschmolz mit dem eines Erzengels. Vor der funkelnden Skyline von Manhattan hätte er eigentlich klein und unbedeutend wirken müssen, doch er war noch schöner als bei Tageslicht. Es war ein Zeichen seiner Überlegenheit, dass er kaum mit den Flügeln schlagen musste, um sich in der Luft zu halten– selbst durch das Glas warf sie seine schiere Macht beinahe um.
    Sie schluckte und blieb standhaft. »Das Fenster geht nicht auf«, sagte sie und fragte sich, ob er sie wohl hören konnte.
    Mit dem Finger zeigte er nach oben. Sie riss überrascht die Augen auf. »Das Dach ist nicht…« Aber da war er schon längst verschwunden.
    »Verdammt!« Sie war wütend, dass er sie so überrumpelt hatte, dass er auf sie diese ganz gewiss tödliche Anziehung ausübte; sie steckte das Messer zurück, klappte ihren Laptop zu und ging nach draußen.
    Ein paar Minuten später war sie auf dem Dach angelangt und öffnete die Tür. »Auf keinen Fall gehe ich da raus!«, rief sie, als sie ihn nicht sah. Das Dach war von einem avantgardistischen Architekten entwickelt worden, bei dem Form mehr galt als Funktion– vor ihr breitete sich eine Reihe unregelmäßiger, zackiger Spitzen aus. Es war unmöglich, darüberzulaufen, ohne auszurutschen und in die Tiefe zu stürzen. »Nein, danke«, murmelte sie, und während sie mit leicht geöffneter Tür auf ihn wartete, spürte sie, wie der Wind ihr das Haar aus dem Gesicht strich. »Raphael!«
    Vielleicht war es gar kein avantgardistischer Architekt. Vielleicht

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