Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
klingelte.
»Beth Deveraux-Ling am Apparat.«
Bei dem vertrauten Klang der Stimme senkte sich ein Tränenschleier über ihre Augen. Mit gewohnter Tapferkeit schluckte sie die Tränen hinunter. »Beth, ich bin es, Elena.«
»Warum nennst du dich immer so?«, fragte Beth, und Elena sah förmlich, wie sie die Stirn runzelte. »Du weißt doch, dass Daddy es lieber hat, wenn du deinen vollen Namen benutzt, oder Nell, wenn es sein muss.«
»Beth, dafür habe ich jetzt keine Zeit. Ist Harrison da?«
»Harry will nicht mit dir sprechen.« Sie senkte die Stimme. »Ich sollte es auch nicht– du hast meinen Mann an einen Engel ausgeliefert.«
»Warum, weißt du genau«, erinnerte Elena sie. »Wenn ich es nicht getan hätte, hätte der nächstbeste Jäger den Auftrag bekommen, ihn hinzurichten. Engel hängen an ihren Dingen.«
»Er ist kein Ding!« Beth war den Tränen nahe.
Elena massierte sich die Schläfen. »Bitte, Bethie, geh und hol Harrison. Es ist wichtig.« Im besten Fall konnte man von ihrer Schwester sagen, sie sei überspannt und obendrein unglaublich verwöhnt. »Er wird es wissen wollen.«
Beth schwieg eigensinnig, bevor sie endlich nachgab. Während sie einige Augenblicke warten musste, hatte sie ihre Augen auf Viveks Rücken gerichtet. Sobald sie den kleinen Raum verließ, würde Vivek erfahren, dass sie eine externe Leitung benutzt hatte, doch es musste sein. Und für die Gilde bestand auch keine Gefahr– selbst wenn jemand den Anruf zurückverfolgen sollte, käme er nur auf eine Scheinadresse.
»Elena?«
Sofort konzentrierte sie sich wieder. »Harry, hör zu, du…«
»Du hörst jetzt mal zu«, unterbrach Harry sie.
»Ich habe keine Zeit für deine…«
»Ich will dir doch nur helfen.« Das war eine scharfe Zurechtweisung. »Ich weiß gar nicht, warum– vielleicht will ich bloß nicht der Schwager einer Jägerin sein, die eines Tages auf einem Spieß am Times Square gegrillt wird! Ich kann es nicht fassen, dass du jemanden von Dmitris Kaliber beleidigt hast.«
Elena erstarrte. »Du weißt es?«
»Natürlich. Dmitri ist der ranghöchste Vampir in der Region, und ich bin ihm direkt unterstellt, es sei denn, mein Meister wünscht direkt mit mir zu sprechen.« Sein Tonfall klang zunehmend verbittert. »Ich hatte eine ganze Reihe von Gesprächen mit Andreas, seit du meine Flucht verhindert hast.«
»Verdammt noch mal, Harry, du hast einen Vertrag unterschrieben. Mit Blut!«
»Dass du deiner Familie gegenüber nicht loyal bist, war ja zu erwarten«, sagte er, und seine Worte schnitten ihr mitten ins Herz. »Wahrscheinlich ist dir nur dein eigenes Leben lieb.«
»Ich ruf dich an, um dich zu warnen«, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor, wollte sich von diesem Blödmann von Schwager nicht verletzen lassen. »Vielleicht bist du ein Vampir, aber Beth ist sterblich.«
»Nicht mehr lange. Wir haben ein Bittgesuch für Beth eingereicht.«
Ihr wurde eiskalt. »Du kannst sie doch nicht in diese Welt zerren! Hat sie überhaupt eine Ahnung davon, was sie da unterschreibt, oder hast du ihr das Schlaraffenland versprochen?«
»Oh, glaub mir, Elieanora, wir wissen, dass es nicht perfekt ist, aber es bedeutet, unsterblich zu sein. Nicht, dass du etwas davon verstehen würdest, aber ich liebe Beth– ich will das ewige Leben nicht ohne sie.«
Das gebot ihr Einhalt, denn abgesehen von all seinen Schwächen, liebte Harrison Ling seine Frau tatsächlich. »Hör zu, Harry, lass uns ein andermal darüber streiten– versteck dich vor Dmitri, bis die Wogen sich geglättet haben.«
»Warum sollte ich mich verstecken?«
»Er wird versuchen, meinen Aufenthaltsort aus dir herauszuquetschen.«
»Er hat mich schon gefragt, und ich habe ihm gesagt, dass ich keine Ahnung habe«, entgegnete Harry. »Da er anscheinend weiß, wie nah du deiner Familie stehst, hat er mir geglaubt.«
»Einfach so.« Elena runzelte die Augenbrauen. »Keinen Druck ausgeübt?«
»Selbstverständlich nicht. Wir sind doch zivilisierte Wesen.«
Elenas Erinnerung an Dmitri, wie er sie angelächelt hatte, als das Blut aus seiner Halsschlagader spritzte, schien dem zu widersprechen. »Na, schön«, murmelte sie. »Solange ihr in Sicherheit seid.«
»Wo bist du?«
Instinktiv läuteten bei ihr die Alarmglocken. »Das brauchst du nicht zu wissen.«
»Stell dich«, drängte er sie. »Das habe ich vorhin gemeint– wenn du aufgibst, ist Dmitri vielleicht geneigt, nachsichtig zu sein. Für uns wäre es auch leichter, wenn ich dich ihm
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