Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
selbst aufpassen konnte, auch ihr Mann Deacon war ein tödlicher Teufel. Aber Zoe war noch so klein.
Hinter ihr ging die Tür auf. »Sara will mit dir persönlich sprechen.« Vivek klang gereizt.
Als Elena wieder hineinging, hatte er sich beleidigt in seinen schallisolierten Arbeitsraum zurückgezogen. Das bedeutete, dass Sara nicht wollte, dass er mithörte. Elena verzog das Gesicht. Wenn Vivek schlechte Laune hatte, wurde es in den Kellergelassen ziemlich ungemütlich– Temperaturschwankungen, die in die Knochen fuhren, eigenartige Gerüche und Essen, das nach Sägemehl schmeckte. Einmal hatte sie einen quälenden Monat dort unten verbringen müssen, nachdem Vivek Streit mit Sara gehabt hatte. Da war die Hölle los gewesen. Doch wenn Saras Leben auf dem Spiel stand, waren Viveks Launen unerheblich.
Elena nahm den altmodischen Hörer in die Hand. Aufgrund seines Alters war das Telefon abhörsicher. »Sara, du musst mit deiner Familie herkommen.«
»Die Direktorin der Gilde gibt nicht klein bei und verkriecht sich.« Sara klang hart, ließ das stählerne Rückgrat aufblitzen, das ihr die Kraft gab, trotz der Testosteronschwemme um sie herum die Stellung zu halten.
»Sei doch nicht so dumm!« Elena ballte die Fäuste, bis ihre Nägel kleine, halbmondförmige Druckstellen auf den Handballen hinterließen. »Dmitri ist kein Milchbubi. Er ist Raphaels Sicherheitschef!«
»Da gibt es noch etwas, worüber wir reden müssen– wie gravierend ist denn eigentlich eure ›Meinungsverschiedenheit‹?«
Es überlief sie kalt. »Warum?«
»Weil ich, als ich wieder im Büro war, eine neue Nachricht auf dem AB vorfand– er sucht dich, Ellie.«
»Ich werde mit…«
»Du wirst dich nicht in seine Nähe begeben«, sagte Sara wie aus der Pistole geschossen. »Du hast die Nachricht nicht gehört. Seine Stimme war kalt wie eine Klinge.«
Elena fluchte leise. Verdammt, was war nur in der Zwischenzeit passiert, seit sie den Turm verlassen hatte? Schließlich hatte er sie doch kampflos ziehen lassen. Warum machte er jetzt Jagd auf sie? »Bist du dir ganz sicher, dass er verärgert ist?«
»Verärgert würde ich nicht sagen. Gemeingefährlich trifft es eher.« Sara klang ehrlich besorgt. »Was hast du nur angestellt, um einen Erzengel in Rage zu bringen?«
Auf unerklärliche Weise hatte sie das Gefühl, die Geschehnisse in seinem Büro unbedingt für sich behalten zu müssen, und das brachte sie in einen Loyalitätskonflikt. »Ich habe ihn geschlagen.«
Sara hielt die Luft an. »Du hast einen Erzengel geschlagen?«
Sie rief sich ins Gedächtnis zurück, wie brenzlig die Situation gewesen war. »Er hatte selber Schuld. Wenn er auch nur einen Moment darüber nachdenkt, beruhigt er sich schon wieder.«
»Erzengel entschuldigen sich nicht gerade gerne.« Aus jeder Silbe troff Ironie. »Du wirst schon vor ihm im Staub kriechen müssen, sonst beißt du in den Staub.«
»Das werde ich nicht tun.« Vor niemandem. »Das weißt du ganz genau.«
»Natürlich weiß ich das, du Dummchen. Ich wollte damit doch nur etwas deutlich machen.«
»Deutlich machen, dass ich so gut wie tot bin.« Weil sie sich bei dem Scheißkerl nicht entschuldigen würde. Nicht einmal, um ihr eigenes Leben zu retten.
»So ungefähr.«
»Dann habe ich also recht.«
»Womit?«
»Dass du Zoe und Deacon schleunigst in Sicherheit bringen musst. Wenn Raphael es auf mich abgesehen hat, dann wird er hinter dir und deiner Familie her sein, um mich zu finden.« Sie hielt inne und schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund hinunter. Gut und schön, wenn es nur um ihr eigenes Leben ging, aber… »Ich werde nicht aus Stolz das Leben deiner Familie in Gefahr bringen. Ich ruf ihn an und…«
»Halt die Klappe.« Das klang bestimmt und ruhig, aber auch zornig. »Ich schaffe Zoe aus der Stadt. Deacon und ich können selbst auf uns aufpassen.«
»Sara, es tut mir so leid.«
»Glaubst du etwa, ich lasse zu, dass du deine Seele so billig verschacherst?« Sie legte auf.
Elena hatte ein schlechtes Gewissen, wenngleich sie wusste, dass ihre Freundin nicht lange böse sein würde. Und eine wütende Sara bedeutete immerhin eine tatkräftige Sara. Als sie den Hörer einhängen wollte, zögerte sie. Mit einem kurzen Blick registrierte sie, dass Vivek ihr immer noch demonstrativ den Rücken zukehrte. Sie ließ es darauf ankommen, legte auf und wählte rasch eine externe Leitung. »Mach schon«, drängte sie, während das Telefon am anderen Ende klingelte und
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