Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
zu verdanken, dass New York der Stammsitz der Direktorin war und somit auch als Hauptquartier für die gesamte amerikanische Gilde diente.
»Vielleicht sind unsere Räume besser«, sagte Elena beim Hinaustreten, »aber ich wette, dass die sich dort nicht vor blutsaugenden Insekten in Acht nehmen müssen.« Die Stützmauern um sie herum sahen massiv aus, und soweit das Auge reichte, war überall nur normaler Kellerschmutz zu sehen. Selbst wenn jemand hier unten unerlaubt Zugang gefunden hätte, würde er gar nicht auf die Idee kommen, hier weiter zu suchen.
»Knallharte Vampirjäger verzehren Wanzen zum Frühstück.« Sara hatte die Worte nur so dahingesagt, doch ihr Gesicht war ernst. »Kommst du zurecht? Ich muss nach oben, um für Schadensbegrenzung zu sorgen.«
Elena nickte, dann streckte sie die Hand aus, damit sich die Türen nicht gleich schlossen. »Du hast gesagt, du hättest einen Anruf vom Präsidenten bekommen?« Es war ein Versuch, die eiskalte Angst zu begreifen, die sich plötzlich wie eine Klammer um ihr Herz legte, eine Art Instinkt, der auf etwas reagierte, das sie noch nicht vollständig verstand.
Sara machte eine zustimmende Kopfbewegung. »Er hat es in den Nachrichten gesehen– wollte wissen, ob er sich Sorgen machen müsse um eine Horde blutrünstiger Vampire.«
»Ängstlicher Typ.«
Sara schnaubte verächtlich. »Weißt du eigentlich, wie viele Vampire dir auf den Fersen waren? Tauch du erst einmal unter und versöhne dich wieder mit Raphael– habe ich das wirklich gesagt?–, und zwar so schnell wie möglich.«
Als sich die Türen schlossen und Elena in pechschwarzer Dunkelheit allein zurückblieb, zweifelte sie daran, ob sie überhaupt jemals wieder ein Wort mit Raphael wechseln wollte. Sie hatte gedacht… Eigentlich wusste sie gar nicht, was sie gedacht hatte. Unwillkürlich zuckte ihre Hand, ihr Körper erinnerte sich daran, dass Raphael sie gezwungen hatte, sich wehzutun. Und nur vierundzwanzig Stunden später hatte sie ein leidenschaftliches Verlangen nach ihm verspürt. Zornig presste sie die Lippen aufeinander. Vielleicht hatte der Mistkerl von Anfang an mit ihr gespielt, sie in dem Glauben gewiegt, sie sei frei und unabhängig, während sie die ganze Zeit schon nach seiner Pfeife getanzt hatte.
»Das macht ihn zum Erzengel und mich zu einer Idiotin«, sie machte zehn Schritte nach links und tastete sich an einem Pfeiler entlang nach unten. Ein paar Minuten später grub sie einen Vorrat an wasserdichten Taschenlampen aus. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass eine davon funktionierte, versenkte sie die restlichen wieder in dem Loch und machte sich auf den Weg durch den Dschungel aus Beton, Metall und Erde.
Sie brauchte zehn Minuten, um zu dem Gewölbeeingang zu gelangen. Die Tür sah aus, als habe sie sich ein Junkie vorgeknöpft: verbogen, voller Graffiti und mit Einschusslöchern versehen. Doch sie wusste, dass die Tür mit zwanzig Zentimetern reinstem Stahl gesichert war. Mit der Taschenlampe leuchtete sie auf eine zerbrochen wirkende Tastatur und gab das Passwort ein.
Willkommen, Elena.
Die Botschaft huschte über den winzigen Bildschirm, eine Sekunde später fuhr ein Netzhautscanner aus einem Schlitz. Gehorsam hielt sie ihr Auge davor, und zwei Minuten später war sie im Inneren. Aber damit hatte sie lediglich die erste Hürde genommen. Dieser Bunker war so konstruiert, dass er auch dann standhielt, wenn ein Jäger von seinem Feind gezwungen wurde, ihn mit hineinzunehmen.
In einer soliden Stahlkabine wartete sie geduldig darauf, dass Vivek sie durch das zweite Paar Türen ließ. Als sie sie verließ, wurde sie sofort von mehreren Lasern durchleuchtet. Alle Waffen wurden registriert, auch das Fehlen jeglicher biologischer oder chemischer Waffen.
»Barev, Elena.«
Die Worte ertönten aus einem verborgenen Lautsprecher.
»Barev, Vivec. Wie ist das Wetter denn so in Armenien?« Der Verwalter des Bunkers hatte eine Vorliebe für Sprachen. Im Laufe der Zeit war es zu einem Spiel geworden, die Länder seiner Begrüßungsworte zu erraten.
»Bewölkt, mit dreiprozentiger Regenwahrscheinlichkeit.«
Lächelnd ging sie den Hauptgang hinunter. »Also, was haben Sie heute Schlimmes mit mir vor, Großer Meister?«
Vivek lachte in seinem kleinen, vor Bomben, Überflutungen, Erdbeben und wahrscheinlich auch vor dem Untergang der Welt geschützten Raum im hintersten Winkel des Bunkers. »Scrabble.«
»Dann mal los. Du schuldest mir noch dreihundert Mäuse.«
»Ja, aber nur
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