Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
weil du gemogelt hast.« Er klang ein wenig kleinlich, doch so war Vivek. Vierundzwanzig Stunden am Tag verbrachte er hier, freiwillig.
Da oben bin ich nur eine Last. Hier unten der König.
Dagegen ließ sich nichts sagen. Vivek hatte die ganze Bunkeranlage unter sich. »Lass mich nur noch schnell duschen.« Zwar war Raphael kein Vampir, doch sein herber männlicher Duft hatte sich in ihr Hirn, ihre Haut, in jede einzelne Pore eingebrannt. Sie wollte ihn los sein!
14
»Wie ist sie entwischt?« Ausdruckslos sah Raphael Dmitri an.
»Sie hat mir die Kehle durchgeschnitten.«
Raphael warf einen Blick auf das saubere Hemd und die nassen Haare des Vampirs. »Wenn du noch Zeit hattest, dich wieder in Ordnung zu bringen, muss es gleich nach ihrem Fortgang geschehen sein.«
»Ja. Sie wollte keinen Geleitschutz.«
»Hast du den Angriff herausgefordert?«, fragte er ruhig, wenngleich die Antwort für ihn keine Rolle spielte, außer als Prüfstein für Dmitris Loyalität.
»Ich wollte sie probieren.«
Ohne Vorwarnung schlug Raphael zu, und Dmitri landete mit gebrochenem Kiefer auf dem Boden. »Ich hatte dir gesagt, dass sie tabu ist. Stellst du meine Autorität infrage?«
Der Vampir stand wieder auf, wartete, bis der Bruch so weit geheilt war, dass er wieder sprechen konnte. »Sie hatten sich doch gestritten.«
»Ja, aber ich habe meinen Befehl nicht zurückgenommen.«
Dmitri neigte den Kopf. »Ich bitte um Vergebung, Sire. Mir war nicht klar, dass Ihnen auch ihr Blut gehört.«
Enttäuschung spiegelte sich in seinen Augen, doch von Auflehnung keine Spur. »Ich bin überrascht, dass Sie mir nur den Kiefer gebrochen haben.«
Mit der Klarheit der Stille, in der er sich befand, erkannte Raphael, dass es Dmitri ernst meinte. »Ich brauche dich noch. Vor uns liegt eine Menge Arbeit.«
»Ich kann sie aufspüren.«
Das war ein Geheimnis, von dem kein Sterblicher wusste. Vampire, die wie Dmitri die Fähigkeit erworben hatten, Jäger mit ihrem Duft zu überwältigen, waren manchmal auch in der Lage, den Spieß umzudrehen. »Das ist nicht notwendig.« Das hier war seine Jagd– er wusste, wohin sie gehen würde. Und wenn er sich irrte, konnte er die entsprechenden Leute fragen. Niemand würde ihm eine Antwort verweigern.
»Was soll ich für Sie tun?«, fragte Dmitri, er brachte die Worte schon beinahe wieder normal heraus. Er war alt genug, dass die meisten Verletzungen– besonders solche, die nicht mit einem Blutverlust verbunden waren– relativ schnell heilen konnten.
»Besorg mir die Privatadresse der Direktorin und die von Ransom Winterwolf.«
15
Elena legte das Wort »Flucht«, dann wartete sie, während Vivek überlegte. »Jederzeit in diesem Jahrhundert, V.«
»Geduld.« Er saß vollkommen unbeweglich da, doch es war kein Ausdruck von Selbstdisziplin. Seit einem Unfall in der Kindheit war Vivek von den Schultern abwärts gelähmt. Auch er war eigentlich ein geborener Jäger. Abgesehen von seinen vielfältigen Pflichten als Verwalter des Bunkers, war er Auge und Ohr in dem vernetzten System der Gilde; sein Hightech-Rollstuhl hatte kabellosen Internetzugang– oft wusste er schon, was die Leute sagen würden, noch bevor sie es ausgesprochen hatten.
Nun murmelte er leise vor sich hin, und auf dem Bildschirm sortierten sich die Buchstaben neu zu dem Wort »Familie«. »Was jetzt, Ellie?« Offenbar meinte er damit nicht das Spiel.
Nervös trommelte sie mit den Fingern auf ihrem Bein herum. »Ich muss mit Sara sprechen.«
»Du stehst unter absoluter Nachrichtensperre.«
»Dann sprich du mit ihr– sag ihr, dass sie in Gefahr schwebt. Jeder weiß, dass sie die Einzige ist, die meinen Aufenthaltsort kennt.« Dabei galt ihre Sorge nicht Dmitri.
Mittels seiner Stimme öffnete Vivek die Türen, durch die sie gekommen war. »Warte draußen. Ich werde anrufen, danach lasse ich dich wieder rein.«
Ihr war nicht nach seinen kindischen Spielen zumute. »Ich spioniere deine verdammten Codes schon nicht aus.«
»Geh, sonst tue ich gar nichts.«
Mit einem Ruck stieß sie sich von der Computerkonsole ab und marschierte hinaus. »Los, beeil dich.« Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
Sie ließ sich langsam mit dem Rücken an der Tür auf den Boden hinunter. Bislang hatte sie nicht bedacht, dass Ransom ebenfalls in Gefahr schweben könnte. Normalerweise betrachtete sie ihn nicht gerade als schutzbedürftig. Über Sara hätte sie sich vor dem Baby auch keine allzu großen Sorgen gemacht. Nicht nur, dass sie auf sich
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