Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
ausliefere. Beth ist mit mir einer Meinung.«
Mehr bedeutete sie ihm und Beth also nicht, sie war bloß eine günstige Gelegenheit, sich einzuschmeicheln. Den überwältigenden Schmerz, der in ihr aufstieg, schob sie beiseite.
»Seit wann bist du denn Dmitris Kuppler, Harry?«
Mit einem geräuschvollen Zischen sog er die Luft ein. »Gut, lass dich umbringen. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass Dmitri im Auftrag seines Sires nach dir sucht?«
»Was?«
»Es geht das Gerücht, dass Raphael sich im kalten Zustand der Stille befindet.«
Elena verstand den Sinn der Worte nicht, doch Harrys Stimme machte ihr unmissverständlich klar, dass es nichts Gutes bedeutete. »Danke für die Warnung.«
»Das ist mehr, als ich von dir bekommen habe.«
Vivek drehte allmählich seinen Stuhl herum.
»Ich muss los.« Und im letzten Moment hängte sie ein.
Als Vivek aus seinem Arbeitsraum herauskam, begab er sich sofort wieder zu seinen Computern. Sie erwartete einen Ausbruch, als er den unerlaubten Anruf entdeckte, doch er schüttelte nur seufzend den Kopf, bevor er sich zu ihr umdrehte. »Warum machst du dir überhaupt die Mühe, Ellie?«
Das traf sie mehr als jeder Vorwurf. Ihre Beine gaben nach, und sie sank auf einen Stuhl. »Das ist meine Familie.«
»Die hat dich verstoßen, weil du nicht reingepasst hast.« Er verzog das Gesicht. »Glaub mir, darin kenne ich mich bestens aus.«
»Ich weiß, Vivek.« Seine Familie hatte ihn nach dem Unfall in eine Anstalt einweisen lassen. »Aber ich kann doch Beth nicht im Stich lassen, wenn ich die Möglichkeit habe, sie zu schützen.«
»Du weißt genau, dass sie dich hängen lassen würde, wenn esdarauf ankäme.« Sein Ton war so bitter wie angebrannter Kaffee. »Sie ist mit einem Vampir verheiratet– der ist wichtiger für sie.«
Darauf konnte Elena nichts entgegnen, besonders nicht, da sie Harrisons Worte noch im Ohr hatte. Ihre Familie wollte sie einem hochrangigen Vampir ausliefern. Gar nicht auszudenken, was dieser Vampir– und erst sein Sire– mit ihr machen würde. »So sind sie nun einmal«, flüsterte sie, »aber ich bin nicht so.«
»Warum nicht?« Vivek hatte sich auf seinem Stuhl wieder dem Computer zugewandt. »Warum kümmert dich das überhaupt? Lieben werden sie dich sowieso nicht.«
Elena hatte keine Antwort darauf, also ging sie. Doch die Worte brannten sich tief in ihr ein. Schmerzhaft. Stechend.
»He, Ellie!«
Mit einem Ruck wandte sie den Kopf nach einer anderen Jägerin um, die an einer der Türen zu den Schlafräumen lehnte. Schlank und hochgewachsen mit langen, glatten schwarzen Haaren und blitzenden braunen Augen. Ashwini war eine teuflisch gute Spurenleserin. Elena mochte sie, weil sie ziemlich verrückt war. »Selber he«, sagte sie, froh, dass jemand sie auf andere Gedanken brachte, wenn auch nur für kurze Zeit. »Ich dachte, du wärst in Europa.«
»War ich auch. Bin seit ein paar Tagen zurück.«
»Also warst du schon im Land, als du Sara angerufen hast?« Oh Gott, war das wirklich erst gestern?
Ashwini nickte. »Die Jagd hatte eine unerwartete Wende genommen.«
»Ja?«, sagte sie und versuchte sich zu konzentrieren.
»Verfluchter Cajun.«
»Hhmm.«
»Ich war schon bis auf einen Häuserblock an ihm dran, da kam er plötzlich zu einer ›Einigung‹ mit dem Engel, der die Jagd angesetzt hatte.« Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Eines Tages mach ich Alligatorfutter aus ihm.«
Elena grinste. »Dann haben wir ja gar nichts mehr zu lachen.«
»Du kannst mich mal«, sagte Ashwini freundlich, bevor sie herzhaft gähnte, die Arme reckte und sich so geschmeidig dehnte wie eine Katze. »Ich schlafe gerne hier unten.«
»Was, gefällt dir etwa hier die Umgebung?« Elena rollte mit den Augen. »Wie war es eigentlich in Europa?«
»Ätzend. Ich war in Urams Territorium.«
In ihrem Nacken kribbelte es. Das konnte doch kein Zufall sein– Ash und ihr Weitblick waren ihr unheimlich. »Wie ist die Lage dort unten?«
Die andere zuckte mit den Schultern, ihre Bewegungen waren leicht und anmutig. Schenkte man den Gerüchten der Gilde Glauben, dann war sie eine ausgebildete Tänzerin und hatte zu einer renommierten Truppe gehört, bevor sie sich aufs Jagen verlegte. Ransom hatte sie einmal gebeten, etwas vorzutanzen. Zwei Wochen hatte es gedauert, bis sein blaues Auge verschwunden war.
»Uram ist abgetaucht«, sagte sie jetzt. »Die Einwohner dort fürchten sich sogar vor ihrem eigenen Schatten– sie vermuten überall
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