Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
mich, damit ich diese Sache zu Ende bringe.« Sie legte auf, bevor Sara auch nur auf den Gedanken kam, dass es weitaus schlimmere Dinge gab als den Tod. Einige endeten in unaufhörlichem Schreien, Schreien, bis die Stimmbänder versagten.
»Neue Passwörter.« Im Papierausgabefach des Druckers lag ein neues Blatt . »Damit kommst du raus. Ich ändere sie, sobald du aus dem Fahrstuhl bist.«
Sie nickte. »Danke, Vivek.«
»Warte mal.« Er fuhr mit dem Rollstuhl zu einem kleinen Spind in der Ecke. Sie wusste nicht, was er dort wollte, aber die Spindtür sprang plötzlich auf. »Nimm das.«
Elena nahm die elegante kleine Waffe entgegen. »Gegen einen Erzengel wird sie wohl nicht viel ausrichten, aber trotzdem danke.«
»Du darfst nicht auf den Körper zielen«, sagte er zu ihr. »Die Kugeln sind dafür gedacht, die Flügel zu zerfetzen.«
Nein! Allein der Gedanke, die unvergleichlich schönen Flügel zu zerstören, ließ ihr Herz bluten. »Die wachsen doch wieder nach, heilen«, presste sie heraus.
»Das dauert. Das wissen wir aus unseren Statistiken– die Flügel heilen bei Engeln am langsamsten. Es wird ihn lange genug festhalten, um ihm in einer brenzligen Lage zu entwischen. Es sei denn…« Angst mischte sich in seine Worte. »Ich habe mitbekommen, was du über Gedankenkontrolle gesagt hast. Wenn er das auch über räumliche Entfernungen hinweg beherrscht, dann hilft vermutlich gar nichts.«
Nachdem sie die Waffe gesichert hatte, stopfte Elena sie sich in den Hosenbund. »Er manipuliert mich jetzt nicht, also sind seinen Fähigkeiten wohl Grenzen gesetzt.« Zumindest hoffte sie das. »Wenn er weiß, dass ich weg bin, wird er wohl kaum hier herunterkommen, aber du musst dich in Sicherheit bringen. Ist Ashwini schon weg?«
»Ja, und es war hier ja auch sonst niemand.« Er sah gleichzeitig ängstlich und entschlossen aus. »Ich verriegle die Tür hinter dir, dann ziehe ich mich in mein Versteck zurück.« Mit dem Kopf deutete er auf den Eingang zu einem geheimen Zimmer hinter der Wand. Hier würde er einige Tage überleben können. »Pass gut auf dich auf, Ellie. Wir müssen unser Spiel noch beenden.«
Sie beugte sich über ihn und umarmte ihn spontan. »Wenn ich zurückkomme, mach ich dich fertig.« Jetzt war es an der Zeit, hier herauszukommen, und zwar lebendig… und in einem Stück. Denn es gab da eine Menge Körperteile, die ein Jäger für eine erfolgreiche Jagd nicht unbedingt brauchte.
Raphael stand vor dem Fahrstuhl, der ihn, so hatte man ihm gesagt, zu den Gewölben bringen würde. Doch wie es schien, hatte er gar keine Veranlassung mehr, sich dorthin zu begeben. Der Vogel war ausgeflogen.
Die Nachricht war neben der Fahrstuhltür mit einem Nagel so nachdrücklich an die Wand gespießt worden, dass überall auf dem Boden Putz lag.
Du willst spielen, Himmelsknabe? Komm, spiel mit mir. Such mich.
Das war eine Kampfansage, ganz unmissverständlich. Wie töricht von dieser Jägerin. In der Stille war er zwar nicht dazu imstande, Zorn zu entwickeln, doch ihre Strategie verstand er recht gut. Sie wollte ihn von ihren Freunden und der Gilde weglocken.
Er dachte darüber nach. Sein urzeitlicher Teil flüsterte: Lässt du dich von ihr etwa an der Nase herumführen? Das ist eine Beleidigung.
Er riss die Notiz von der Wand. »Himmelsknabe«, las er laut vor und zerknüllte das Papier. Ja, er musste sie Respekt lehren. Wenn er sie fand, sollte sie um Gnade betteln.
Sie soll nicht betteln müssen.
Einige Sekunden lang bannte ihn das Echo seiner eigenen Worte. Er dachte daran, wie ihn die Jägerin mit ihrer leidenschaftlichen Art fasziniert hatte, dass sie ihn von der schon Jahrhunderte währenden Langeweile befreit hatte. Selbst im Zustand der Stille begriff er, warum er ihr nicht schaden sollte. Zu frühzeitig ein neues Spielzeug zu zerstören, zumal eines, das so viel Spaß versprach, wäre eine Dummheit. Doch gab es Methoden, sich Respekt zu verschaffen, ohne den Gegenstand seines Interesses vollständig zu vernichten.
Die Gilde konnte warten, zunächst einmal musste er Elena Deveraux lehren, einen Erzengel etwas ehrerbietiger zu behandeln.
Zu allem entschlossen, fuhr Elena durch die Stadt. Sie würde sich nicht verstecken– das würde die Menschen, die ihr etwas bedeuteten, nur in Schwierigkeiten bringen. Ganz zweifellos würde sich Raphael einen nach dem anderen vornehmen, bis er bei ihr selbst angekommen war. Also tat sie das einzige in ihrer Macht Stehende, um die anderen zu
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