Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
unter dem Busen und drückte ihn dabei noch mehr heraus. »Erzählen Sie doch mal. Es könnte recht amüsant werden zu sehen, wer Sie als Erster in die Finger bekommt.«
»Verzeihen Sie mir, aber Ihr Amüsement steht bei mir nicht an erster Stelle.« Jetzt, solange Raphael sie brauchte, konnte sie große Reden schwingen. Danach… Hm, danach hatte sie so viele andere Probleme, dass es sich nicht lohnte, einen wutschnaubenden Erzengel zu beschwichtigen.
Raphael legte seinen Arm um ihre Hüfte. Sofort heftete sich Michaelas Blick darauf, ihre grünen Augen funkelten vor unverhohlenem Groll. Na, sieh mal einer an, die himmlische Michaela verschwendete keine Zeit. Den Informationen zufolge, die sie in der ersten Nacht im Netz gefunden hatte, waren sie und Uram schon seit Jahren ein heißes Paar. Und jetzt war ihr Liebhaber noch nicht einmal unter der Erde, und sie hatte sich schon nach Ersatz umgesehen.
»Elena«, sagte Raphael, und sie verstand gleich, dass er sie aufforderte, sich zu benehmen. »Wir müssen noch Einzelheiten der Jagd besprechen.«
Sie war viel zu neugierig, mehr über Urams Abstieg in die Niederungen vampirischer Lebensformen zu erfahren, als dass sie ihre Zeit weiter damit verschwenden wollte, Michaela gegen sich aufzubringen. Also versiegelte sie ihre Lippen und übte sich in Geduld.
In diesem Moment klopfte es, und nur Sekunden später kam Jeeves mit einem silbernen Kaffee-und Teeservice herein. Hinter ihm fuhren mehrere Bedienstete einen Wagen mit Essen herein, das sie auf einem herrlichen alten Holztisch am Fenster anrichteten.
»Ist das alles, Sire?«
»Ja, Montgomery. Bitte sorgen Sie dafür, dass wir nicht gestört werden, es sei denn, es ist einer meiner Sieben.«
Mit einer Verneigung verließ Montgomery das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Elena begab sich an den Tisch und nahm auf dem einzig brauchbaren Stuhl am Kopfende Platz, in ihrem Rücken befand sich ein Bücherregal. Michaela setzte sich ans andere Ende, während Raphael weiterhin stand. Elena fragte sich, ob Michaela darauf wartete, bedient zu werden. Sie lachte in sich hinein und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein– und weil sie guter Laune war, bekam Raphael auch eine, aber, wer weiß, vielleicht wollte sie auch nur Michaela ärgern– und Raphael. Dann setzte sie die Kanne ab.
»Also«, sagte sie, »was muss ich noch über diesen Mistkerl wissen?«
Michaela fauchte regelrecht. »Sie werden mit Respekt von ihm sprechen. Er ist alt, so alt, dass Ihr kümmerlicher Menschenverstand all die Dinge, die er gesehen und getan hat, gar nicht begreift.«
»Haben Sie die Leichen im Lagerhaus gesehen?« Auf einmal wurde ihr wieder übel, und sie stellte ihre Tasse ab. Die Bilder von dem Lagerhaus hatten sich fest in ihr Gehirn gebrannt, und sie würde sie ebenso wenig vergessen wie die von dem Vampir, den die Vampirhasser so elendig verstümmelt hatten. »Er mag ja alt sein, aber er ist nicht mehr zurechnungsfähig. Besser gesagt, er ist völlig durchgeknallt.«
Mit einer Handbewegung fegte Michaela das vor ihr stehende Geschirr vom Tisch. »Ich werde einem Menschen nicht helfen, ihn wie einen Hasen zu jagen.«
»Du hast dein Einverständnis dazu gegeben.« Raphaels Stimme war schneidend. »Ziehst du deine Zustimmung zurück?«
In den grünen Augen standen Tränen. »Ich habe ihn geliebt.«
Elena hätte der atemberaubend schönen Engelfrau geglaubt, wenn sie nicht kurz zuvor ihren Wutausbruch miterlebt hätte. Diese Frau liebte nichts und niemanden außer sich selbst.
»Genug, um für ihn zu sterben?«, fragte Raphael mit glattzüngiger Grausamkeit. »Jetzt schickt er dir noch die Herzen seiner Opfer. Nachdem er die erste Blutgier gestillt hat, wird es dein Herz sein, das er begehrt.«
Michaela wischte sich eine Träne weg, tat so, als hätte sie Mühe, sich wieder zu fassen. Wahrscheinlich wären die meisten Männer auf ihr Theater hereingefallen. »Du hast ja recht«, flüsterte sie. »Verzeih meinen Gefühlsausbruch.« Sie atmete tief ein und brachte so ihr Dekolleté schön zur Geltung. »Vielleicht sollte ich nach Europa zurückkehren.«
Aufgrund ihrer Recherche wusste Elena, dass Michaela über große Teile Mitteleuropas herrschte, wenngleich nicht ganz klar war, wo ihre Macht endete und die Urams begann.
»Nein«, sagte Raphael entschieden. »Ganz offensichtlich ist er dir hierher gefolgt– wenn du gehst, dann wird er sich dir anschließen. Vielleicht erwischen wir ihn dann nicht mehr rechtzeitig.«
»Er
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