Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
tief Luft. Dann tat sie, wie ihr geheißen. Auf ihren Lippen lag ein Lächeln– Sara hatte ein willkommenes Geschenk für sie dagelassen. Gestärkt begab sie sich in ihr verwüstetes Wohnzimmer. Offensichtlich hatte Raphael die Plane wieder befestigt, lange würde sie trotzdem nicht halten. Aber das spielte jetzt auch überhaupt keine Rolle mehr. Das Zimmer musste sowieso von Grund auf renoviert werden. Aber sie würde wieder alles genau so herrichten, wie es vorher gewesen war.
Mit Neuanfängen kannte sie sich aus.
Ich habe keine Lust, den Abschaum der Menschheit unter meinem Dach zu beherbergen.
Zusammen mit dem Müll hatte ihr Vater ihre in Kisten gestopfte Sachen auf die Straße hinausgebracht, als Folge des letzten scheußlichen Streits zwischen ihnen. Sie war einfach gegangen. Und Jeffrey hatte sie bestraft, indem er sie schlichtweg aus seinem Leben gelöscht hatte. Zu ihrer Überraschung war es Beth gewesen, die sie angerufen und die ihr geholfen hatte, den Rest, der noch nicht von Schnee und Regen zerstört worden war, zu retten. Keiner der Schätze ihrer Kindheit hatte überlebt– Jeffrey hatte sie alle in ein im Hof entzündetes Feuer geworfen, wo sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannt waren.
Tränen stiegen ihr in die Augen, doch noch bevor sie ihr die Wange hinunterlaufen konnten, hatte sie sie weggeblinzelt. »Ich bringe das wieder in Ordnung.« Es war ein Versprechen, das sie sich selbst gab. Und die Glasfront würde sie durch eine massive Wand ersetzen lassen. Die Engel und ihren Turm wollte sie nie mehr sehen.
Doch im selben Moment wusste sie, dass das nicht stimmte.
Raphael war ihr ins Blut gedrungen wie eine süchtig machende Droge. Aber das bedeutete nicht, dass sie es ihm leichtmachenwürde, wenn die Zeit gekommen war, mit den Geheimnissen um den Kader Schluss zu machen. »Dazu musst du mich erst einmal fangen, Himmelsknabe.« Sie spürte das Adrenalin in ihrem Körper und lächelte grimmig und kampfbereit.
25
Der Wagen, ein schnittiger schwarzer Panther, stand mit laufendem Motor am Straßenrand. An dem glänzenden Metall lehnte ein Vampir. Ihr war sofort klar, dass auch er sehr alt sein musste. Zu seinem schwarzen Anzug trug er eine Sonnenbrille, sein schokoladenbraunes Haar war geschnitten, als sei er ein Model aus GQ, die Lippen aber… die waren gefährlich. Sinnlich. Zum Anbeißen. »Ich habe Anweisung, Ihnen nichts zu tun.« Er hielt ihr die Tür zum Rücksitz auf.
Sie warf ihre Tasche in den Wagen und fragte sich insgeheim, warum ihr sein Geruch so vertraut vorkam. »Ein vielversprechender Anfang.«
Als er die Sonnenbrille abnahm, bekam sie die Wirkung seiner Augen voll zu spüren. Hellgrüne Schlitze wie eine Schlange. »Buh!«
Sicher wäre sie vor Schreck zusammengefahren, aber dazu war sie viel zu verblüfft. »Originelle Kontaktlinsen können mich nicht schockieren.«
Seine Pupillen verengten sich. Oh Mann. »Ich wurde von Neha erschaffen.«
»Der Königin der Gifte?«
»Der Königin der Schlangen.« Zögernd lächelte er, und es war auf jeden Fall unfreundlich gemeint. Er setzte die Brille wieder auf und trat beiseite, um sie einsteigen zu lassen.
Nur seiner einleitenden Worte wegen tat sie das. Solange Raphael ihn an der Leine hatte, würden sie miteinander auskommen. Doch sie hatte das untrügliche Gefühl, dass sie, sobald diese Leine gekappt würde, jede einzelne Waffe, die sie am Körper trug, brauchen würde. »Wie heißen Sie?«, fragte sie, als ihr »Fahrer« im Wagen saß.
»Für Sie– Tod.«
»Sehr witzig.« Sie starrte auf seinen Hinterkopf. »Warum wollen Sie mich töten?«
»Ich gehöre zu den Sieben.«
Auf einmal wusste sie, woher sie seinen Geruch kannte– in der Nacht, als sie auf Raphael geschossen hatte, war er in ihrer Wohnung gewesen. Er war es gewesen, der ihr die Arme auf den Rücken gedreht und sie festgehalten hatte. Kein Wunder, dass er ihr an die Gurgel wollte. »Hören Sie zu, Raphael und ich haben die Sache geklärt. Sie sind davon in keiner Weise betroffen.«
»Wir beschützen Raphael auch vor Gefahren, die ihm noch gar nicht bewusst sind.«
»Na toll.« Sie seufzte. »Aber… sind Sie denn im Lagerhaus gewesen?«
Sofort wurde es um einige Grad kälter. »Ja.«
»Mein Tod steht nicht ganz oben auf der Dringlichkeitsliste«, sagte sie behutsam, aber im Grunde sprach sie gar nicht mehr mit ihm. »Wohin bringen Sie mich?«
»Zu Raphael.«
Die Straßen flogen an ihr vorbei, sie ließen Brooklyn hinter sich und steuerten auf die
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