Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
eifert ihrer Mutter nach, gewinnt aber nicht weiter an Macht.«
»Also weiß sie, dass sie niemals ein Erzengel werden wird.« Vielleicht reichte das aus, um eine ohnehin labile Persönlichkeit zu Verzweiflungstaten zu treiben. »Hat sie das erst vor Kurzem erfahren?«
»Nein. Schon vor einer Dekade. Und sie zeigt bislang keine Anzeichen von moralischem Verfall.«
Entweder akzeptierte sie ihr Schicksal, oder sie verstellte sich, das konnte niemand mit Bestimmtheit sagen. »Der Direktorin der Gilde ist es gelungen, den Diebstahl einer Kiste mit Gildendolchen aufzudecken, zwei Tage nachdem Elena aus dem Koma erwacht ist.« Es machte ihn wütend, dass man Elena nachstellte, aber seine Jägerin konnte mittlerweile schon ganz gut allein auf sich aufpassen. Und Noel, der sich auf dem Weg der Genesung befand, würde binnen Kurzem auch wieder dazu in der Lage sein. Doch der Missbrauch an Sam war unverzeihlich, er trieb sie alle um. »Nazarach war zu der Zeit auf der Jagd nach einem seiner Vampire – einer Frau, der es gelungen war, in Elias’ Territorium einzudringen.«
Jason nickte. »Der war also anderweitig beschäftigt und wird den Raub kaum inszeniert haben.«
Genau zu demselben Ergebnis war Raphael auch gekommen. »Versuche herauszufinden, was Anoushka und Dahariel zu diesem Zeitpunkt getrieben haben.«
»Sire.«
»Jason«, sagte Raphael, als dieser sich gerade zum Gehen umwenden wollte, »du kannst den Jungen nicht retten, aber ich kann ihn aus dem Vertrag freikaufen.« Dahariel würde zu einem Erzengel nicht Nein sagen, besonders nicht, wenn er hinter den Sekhem-Gräueltaten steckte.
»Dahariel wird ein neues Opfer finden«, sagte Jason niedergeschlagen.
»Aber es wird nicht dieser Junge sein.«
Nachdem Jason sich mit einem kurzen Nicken verabschiedet hatte, fragte Raphael sich, ob die geistigen Narben des Engels wohl je heilen würden. Die meisten wären wohl schon nach ein paar Jahren von Jasons »Kindheit« verrückt geworden, aber der schwarz geflügelte Engel hatte durchgehalten. Und als die Zeit gekommen war, hatte er Raphael Treue geschworen, seine Intelligenz in die Dienste eines Erzengels gestellt.
Wenn die Rettung des Jungen seiner Seele ein wenig Frieden geben würde, dann wollte sich Raphael gern mit Dahariel auseinandersetzen. Und sollte sich herausstellen, dass dieser Engel dem kleinen Sam all das Leid zugefügt hatte, dann würde er ihn mit noch größerem Vergnügen Stück für Stück auseinanderreißen – und ihn dabei hübsch am Leben lassen, um ihn jede Brandwunde, jeden gebrochenen Knochen, jeden brutalen Messerschnitt qualvoll spüren zu lassen.
Engel mochten ja Raubtiere sein, doch an oberster Stelle der Nahrungskette standen noch immer die Erzengel.
28
»Bist du jetzt endlich gekommen, damit wir spielen können?« Ein rot verschmiertes Lächeln. »Du bist spät dran.«
»Lauf!« Ein abgebrochener Schrei. »Lauf, Ellie.«
Das Monster lachte. »Sie wird nicht weglaufen.« Mit einem zufriedenen Lächeln beugte es sich zu Aris Kehle hinunter. »Ihr gefällt es nämlich, weißt du.«
Irgendwas umschlang sie, eine unsichtbare Hand berührte sie an ihren intimsten Stellen. Sie wollte schreien. Aber ihr Mund wollte sich nicht öffnen, ihr Kehlkopf nicht schwingen … denn ihr Körper fand Gefallen daran. Entsetzt begann sie sich die Haut zu zerkratzen, wollte sich in einem verzweifelten Versuch, sich gegen diesen entsetzlichen und heimtückischen Genuss zu wehren, die Haut vom Leibe reißen. Wärme breitete sich klebrig aus zwischen ihren Beinen, und in ihrer Unschuld wusste sie damit nichts anzufangen. Winselnd kratzte sie immer stärker. Unter ihren Nägeln kam Blut zum Vorschein, während sich blutige Striemen auf ihren Armen bildeten.
Die Liebkosungen – der Duft – hörten auf. »Wie schade, dass du dafür noch zu jung bist. Wir hätten so viel Spaß miteinander haben können.« Er wischte sich einen Tropfen Blut vom Mund und hielt ihr seinen Finger hin. »Koste. Du wirst es mögen. Alles wirst du mögen.«
Als Raphael bei Einbruch der Nacht nach Hause zurückkehrte, stand Elena auf dem Felsen unterhalb der Festung, ihr Blick war auf die vielen winzigen Lichtpunkte gerichtet, die die Schlucht säumten. Raphael landete hinter ihr, seine weißgoldenen Schwingen glänzten im Mondschein.
»Hat Galen dir schon erzählt, was Lijuan mir geschickt hat?«, fragte sie, als er sich zu ihr gesellte.
»Natürlich.« Galen hatte ihm auch ihre Reaktion berichtet. Er sah sie wie gebannt
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