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Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Titel: Gilde der Jäger 02 - Engelszorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. Singh
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an. Sie hatte ein schönes, klares Profil, ihre Lippen waren das einzig Weiche an ihr – seine Kriegerin, dachte er und strich ihr eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht.
    Sie senkte die Wimpern und seufzte. »Ich weiß ja, was auf dem Spiel steht. Und einerseits bin ich auch furchtbar froh über das, was du getan hast.«
    »Und andererseits?«
    »Andererseits wünschte ich, dass ich nie von dieser anderen Welt erfahren hätte.«
    Der Wind drehte auf einmal, und Raphael legte schützend die Flügel um sie, schweigend blickte er auf den Fluss, der in der Tiefe rauschte.
    »Mir blieb nichts anderes übrig, nicht wahr?«, sagte sie schließlich. »Seit dem Moment, als ich als Jägerin geboren wurde, bin ich unentrinnbar mit Blut und Tod verbunden.«
    »Bei manchen ist das nicht zwangsläufig so.« Seine Flügel berührten ihre. »Aber bei dir trifft es zu.«
    Das Mondlicht spiegelte sich auf ihren glänzenden Wangen, und da sah Raphael, dass seine Jägerin weinte. »Elena.« Er hüllte sie in seine Flügel ein, drückte sie an sich und strich ihr über das Haar. Was konnte sie nur zum Weinen gebracht haben? »Hat dich dein Vater verletzt?« Wenn Raphael diesen Mann hätte töten können, und Elena wäre damit einverstanden gewesen, hätte er es schon lange getan.
    Sie schüttelte den Kopf. »Er ist meinetwegen gekommen.« Ein heiseres Flüstern. »Meinetwegen hat sich Slater Patalis unsere Familie ausgesucht.«
    »Das kannst du doch gar nicht wissen.«
    »Ich weiß es aber. Ich habe mich wieder daran erinnert.« Als sie zu ihm hochsah, waren ihre Augen zwei mit Regentropfen bedeckte Diamanten. »Hübsche Jägerin«, sagte sie in einem unheimlichen Singsang. »Hübsche, kleine Jägerin. Ich bin gekommen, um mit dir zu spielen.« Mit einem Aufschrei ging sie in die Knie.
    Er sank mit ihr zu Boden, die Wärme seiner Flügel umhüllte sie, als er ihren verkrampften Leib an sich presste. »Kommen die Erinnerungen jetzt auch tagsüber zurück?«
    »Ich war gerade dabei, einen von Jessamys Texten zu lesen, habe auf dich gewartet und die Augen nur einen Moment lang geschlossen. Als hätten die Erinnerungen nur auf diese Gelegenheit gewartet.« Ihr ganzer Körper bebte vor Schluchzen. »Die ganze Zeit über habe ich meinen Vater gehasst, weil er mir nicht glauben wollte, dass ein Monster kommen würde. Dabei ist Slater meinetwegen gekommen. Zu mir! Ich habe ihn angelockt.«
    »Man kann doch nicht ein Kind für die Taten des Bösen verantwortlich machen.« Raphael war es nicht gewohnt, sich hilflos zu fühlen, doch jetzt musste er tatenlos mit ansehen, wie es Elena das Herz brach. Er drückte sie noch fester an sich, flüsterte ihr Worte des Trostes ins Ohr, kämpfte gegen den Wunsch an, ihre Erinnerungen auszulöschen, um ihr Frieden zu schenken.
    Für ihn war es einer seiner schwersten Kämpfe. »Dich trifft keine Schuld«, wiederholte er, und in ihm brannte ein ohnmächtiger Zorn.
    Elena sprach kein Wort, weinte nur so heftig, dass es sie schüttelte. Zärtlich drückte Raphael seine Lippen auf ihre Schläfe und wiegte sie sanft im Arm. Als die Lichter in der Schlucht nach und nach erloschen, strahlten die Sterne umso heller am Firmament, der Wind wurde eisig, es roch nach Schnee. Er hielt sie auch dann noch in den Armen, als ihre Tränen längst versiegt waren und der Mond ihre Flügel mit der Hingabe eines endlich erhörten Liebhabers liebkoste. Dann stieg er mit ihr in den Himmel auf.
    Flieg mit mir, Elena.
    Sie entfaltete die Flügel, blieb aber stumm.
    Er hatte ein wachsames Auge auf sie, während er sie auf einen wilden und berauschenden Flug über die Bergkämme und Pässe mitnahm. Ein scharfer Wind strich ihnen über das Gesicht. Mit grimmiger Entschlossenheit folgte sie ihm, umflog die Hindernisse, wenn sie nicht wie Raphael schnell genug durch die schmalen Felsspalten hindurchgleiten konnte.
    Elena musste all ihre Konzentration aufbieten, und genau das hatte Raphael beabsichtigt.
    Als sie endlich landeten, schwankte sie nur noch vor Müdigkeit. Raphael trug sie ins Haus und dann ins Bett, und mithilfe einer behutsamen Einmischung in ihren Geist fiel sie in einen traumlosen Schlaf. Bestimmt würde sie ihm das übel nehmen, aber sie hatte Ruhe dringend nötig. Denn ihre Zeit war fast um.
    In einer Woche schon würde Lijuans Ball stattfinden.
    29
    Am nächsten Morgen lag Elena noch im Bett, als Raphael sich anzog: Sie sah zu, wie er in eines seiner extra für ihn angefertigten Hemden schlüpfte, die seine Flügel

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