Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
zittern und sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog.
»Wie lange werden sie noch dort liegen?«, presste sie zwischen den Zähnen hervor.
»Bis sie sich wieder bewegen können«, sagte Illium ungerührt. »Oder bis Michaela jemanden schickt, um sie zu bergen.«
Elena wusste, dass das nicht passieren würde. Sie wendete sich von den Körpern, den verstümmelten Flügeln und zertretenen Blumen ab und ging langsam den Weg entlang. »Moment noch. Mein Buch.«
»Ich hole es dir, sobald Raphael zurück ist.«
Elena zögerte, doch ihr war klar, dass sie nicht die Kraft haben würde, noch einmal an den Engeln vorbeizugehen. »Danke!« Nach nur wenigen Schritten spürte sie, wie ihre Sinne mit dem Duft von Regen und Wind erfüllt wurden.
Stillschweigend zog sich Illium zurück, als Raphael sich zu ihr gesellte. Elena hatte erwartet, dass er sie tadeln würde, weil sie ihm nicht gehorcht hatte, doch Raphael sagte nichts, bis sie sich in ihren Privatgemächern befanden. Und selbst da sah er einfach nur zu, wie sie sich auszog und unter die Dusche ging.
Als sie herauskam, wartete er mit einem großen Handtuch auf sie, in das er sie einhüllte – die Zärtlichkeit dieser Geste war beinahe zu viel für sie. Raphael strich ihr eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht, und sie hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. Leise sagte er: »Du bist entsetzt von der Gewalttätigkeit in unserem Leben.«
Sie hatte sich an ihn gelehnt und fühlte sein Herz stark und regelmäßig schlagen. Der Klang war so menschlich, so ehrlich und wahrhaftig. »Mit Gewalttätigkeit hat das nichts zu tun.« Elena hatte ihren eigenen Mentor umgebracht, als dieser den Verstand verloren und kleine Jungen wie Schlachtvieh niedergemetzelt hatte. »Es ist die Unmenschlichkeit, die mir zu schaffen macht.«
Raphael streichelte ihr übers Haar, schloss seine Flügel um sie. »Michaela hat dich aus einem sehr menschlichen Grund verfolgt – sie ist eifersüchtig. Du stehst jetzt im Mittelpunkt des Interesses, und das kann sie nicht ertragen.«
»Aber die Grausamkeit in ihren Augen.« Schon der Gedanke daran ließ Elena frösteln. »Ihr hat es Spaß gemacht, mich zu quälen, und das hat mich an Uram erinnert.« Der blutgeborene Engel hatte ihr so brutal gegen den gebrochenen Knöchel getreten, dass sie vor Schmerzen geschrien hatte. Und er hatte dabei gelächelt.
»Sie waren nicht ohne Grund ein Paar.« Wieder streichelte er sie. Sie presste ihre Wange an seine Brust und spürte die Wärme und Lebenskraft seines Herzens. Aber es war derselbe Mann, der mit solch eiskalter Präzision einen Vampir am Time Square bestraft hatte, dass die New Yorker diesen blutbefleckten Ort selbst jetzt noch mieden.
»Was hast du mit Michaela gemacht?«, fragte sie, und bei der plötzlichen Erkenntnis, dass er es bei einer Demütigung sicher nicht bewenden ließ, überlief es sie kalt. Zwar handelte Raphael niemals aus Launenhaftigkeit, aber wenn er strafte, erschauderte die Welt.
Eine kühle, mitternächtliche Brise ging durch sie durch. Ich habe es dir schon einmal gesagt, Elena. Habe niemals Mitleid mit Michaela. Sie nutzt es sofort aus und reißt dir das Herz bei lebendigem Leibe heraus.
Das Herz, von dem er sprach, setzte vor Schreck aus, die gequetschten Muskeln schmerzten noch immer. »Wie hat sie das gemacht? Wie konnte sie einfach in mich hineingreifen?«
»Anscheinend hat Michaela ein neues Talent, das sie vor uns bislang verborgen hat.« Mit gesenkter Stimme fuhr er fort. »Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sie es erworben hat, kurz nachdem Uram sie beinahe umgebracht hätte.«
»Er hatte sie lange genug in seiner Gewalt«, sagte Elena und erinnerte sich an die nackte Angst in Michaelas Gesicht, als sie sie gerettet hatten. Zum ersten Mal hatte sie miterlebt, dass ein Erzengel sich fürchtete, und dieses Erlebnis hatte sie tief erschüttert. »Meinst du, er hat sie irgendwie verändert?«
»Mit seinem Blut hat er Holly Chang verändert. Sie ist jetzt weder Vampir noch Mensch. Es wird sich zeigen, was aus Michaela wird.«
Elena schämte sich, dass sie gar nicht mehr an das einzige überlebende Opfer von Urams Angriffen gedacht hatte. »Holly? Wie geht es ihr?« Als Elena sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie ohne Kleider, blutbeschmiert und halb wahnsinnig gewesen.
»Sie lebt.«
»Und ihr Verstand?«
»Dmitri sagt, sie wird nie wieder so sein wie vorher, aber zumindest ist sie nicht dem Wahnsinn verfallen.«
Das war weitaus besser, als Elena
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