Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
Panisch begann Elenas Herz zu klopfen. Ihr war, als schlössen sich dünne, knochige Finger – mit tückisch spitz gefeilten Nägeln – um ihr hektisch pochendes Herz, drückten es zusammen, bis ihr Blut in den Mund schoss und das Kinn hinablief.
Michaela wirkte geradezu amüsiert. »Auf Wiedersehen, Jägerin!«
Rechts von Elena blitzte es blau auf, Illium, mit blutgetränkten Flügeln. Jetzt kehrte auch das Gefühl wieder in ihre Finger zurück. »Teufelin!« Dieses beinahe lautlos gehauchte Wort sollte nur davon ablenken, dass ihre Hand nun zur Seitentasche ihrer Hose glitt, in der ihr Messer steckte. Mit äußerster Entschlossenheit und Kraft packte sie das Messer, blendete die Schmerzen und das Blut in ihrem Mund aus und warf es.
Michaela schrie auf, ihre Hand rutschte weg, als das Messer in ihrem Auge stecken blieb. Im nächsten Atemzug schon wurde der Pavillon von weißen Flammen erfasst, doch diesmal war es nicht Elena, sondern Michaela, die gegen eine der hinteren Säulen geschmettert wurde und bewusstlos davor liegen blieb. Verzweifelt versuchte Elena, durch ihren Tränenschleier hindurch etwas zu erkennen: Raphael war da, und in seinen Händen loderte das tödliche Himmlische Feuer.
Elena spuckte Blut. »Nein!« Ihr Krächzen war so leise, dass es wohl niemand hörte. Raphael, nein, sie ist es nicht wert! Uram hatte er töten müssen, aber es hatte ihn viel gekostet, das Leben eines Erzengels zu beenden. Elena spürte die Narben, die es bei ihm hinterlassen hatte. Ich habe sie provoziert.
Das spielt keine Rolle. Sie kam, um dich zu töten. Er hob die Hände, die blauen Flammen leckten ihm um die Arme, und Elena wusste, dass Michaela sterben würde. Sie versuchte zu ihm zu gehen, doch die Beine ließen sie im Stich, und sie glitt zu Boden, dann sagte sie etwas zu ihm, was sie noch nie zuvor zu einem Mann gesagt hatte. Ich brauche dich.
Raphael fuhr mit dem Kopf zu ihr herum, in seinen Augen stand ein fremdartiges Leuchten. Die Zeit blieb stehen. Und dann kniete er neben ihr, unter größter Anstrengung hatte er die blauen Flammen wieder zurück in seinen Körper geholt. »Elena.« Er berührte ihre Wange, und sie spürte, wie sich eine seltsame Wärme in ihrem Körper ausbreitete, sich ihres gefolterten Herzens annahm. Sekunden später schlug ihr Herz wieder regelmäßig.
Zitternd schlang sie die Arme um ihn, zog ihn an sich und hielt seinen Kopf mit beiden Händen umfangen, während sie flüsterte: »Lass dich nicht auf ihr Niveau herunterziehen. Gönn ihr diesen Sieg nicht.«
»Sie ist gekommen, um dem zu schaden, was mir gehört. Das kann ich nicht ungestraft durchgehen lassen.«
Schwarz glomm der Besitzerinstinkt in seinen Augen, doch Elena spürte, dass es um mehr ging. »Es geht um Macht, nicht wahr?«
Sein Nicken war so schmeichelnd wie Seide, ihr Erzengel war vernünftigen Argumenten zugänglich. Im Moment zumindest.
»Sie ist bewusstlos, und in ihrem Auge steckt meine Klinge. Bring sie irgendwohin, wo jeder sie sehen kann.«
»Das ist aber sehr rachsüchtig von dir.« Raphaels Lippen pressten sich auf ihre, seine Wut hatte er jetzt unter Kontrolle. »Die Demütigung wird sie schlimmer treffen als jede körperliche Folter.«
»Sie hatte es nicht nur auf mich abgesehen, sie hat auch Illium verletzt. Ist er …«
»Illium ist einer meiner Sieben. Er wird es überleben – was man von Michaelas Männern nicht unbedingt sagen kann.«
»Das arme Glockenblümchen«, sagte sie und hielt Ausschau nach Illium, der gerade den letzten Engel vom Himmel holte, mit dem er gekämpft hatte. »Es sieht ganz danach aus, als würde er immer …« Ihr blieben die Worte im Halse stecken, als sie sah, wie er dem gefallenen Engel mit einem Schwert, das er buchstäblich aus dem Nichts gezogen hatte, die Flügel abhieb. »Raphael …«
»Die Strafe ist durchaus angemessen.« Raphael stand auf und ging hinüber zu Michaela. Diese stöhnte auf, als er sie anhob, gewann aber das Bewusstsein nicht wieder. »Bleib hier, Elena. Ich komme gleich zurück und hole dich.«
Elena sah ihm nach, als er wegflog, sie war sich nicht sicher, ob Michaela diese kalte Wut überleben würde. Diesen unnahbaren Gesichtsausdruck hatte sie bei ihm nicht mehr gesehen, seit sie ein Paar geworden waren. Mit einer Hand an der Säule zog sie sich mühsam hoch, gerade als Illium den Pavillon betrat. Blutige Streifen zogen sich über sein Gesicht, sein Haar, sein Schwert.
»Wo ist denn das Schwert auf einmal hergekommen?«, fragte sie.
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