Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Titel: Gilde der Jäger 02 - Engelszorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. Singh
Vom Netzwerk:
leid.« Raphael schüttelte den Kopf. »Das war zu Beginn meines Lebens.«
    »Aber er war dein Vater.«
    »Ja.«
    Ihre Augen glitten über das herbmännliche und unfassbar schöne Gesicht. Elena stellte das Tablett mit den Broten auf den Boden. Er sah schweigend zu, wie sie die Laken beiseiteschob und sich vor ihn setzte, die Hände auf seine Schenkel legte. »Mütter und Väter«, hörte sie sich sagen, »hinterlassen ihre Spuren, gleichgültig, ob wir sie unser ganzes Leben lang oder nur einen einzigen Tag kennen.«
    Mit der Hand streichelte er über die schwarz-indigoblaue Wölbung ihres Flügels.
    »Raphael.« Rau und tadelnd stieß sie seinen Namen hervor.
    »Ich habe schon seit Jahrhunderten nicht mehr von meinen Eltern gesprochen.« Noch einmal strich er ihr langsam über den Flügel. »Meine Mutter hat meinen Vater hingerichtet.«
    Mit kühler Glätte schnitten die Worte durch den Nebel wohligen Gefühls. »Hingerichtet?« Bilder von verstümmelten, verrotteten Leichen drängten sich in ihren Geist, als sie jäh an Urams Spielwiese für Abartigkeiten erinnert wurde.
    »Nein«, sagte Raphael, »er ist kein Blutgeborener geworden.«
    Elena spürte weder den Duft von Regen noch von Wind. »Woher weißt du, was ich fragen will?«
    »Das Entsetzen ist dir vom Gesicht abzulesen.« Seine Augen waren erfüllt von Erinnerungen, sie nahmen eine Farbe an, die keinen Namen hatte. »Uram hätte meinen Vater verehrt.«
    »Und warum?«
    »Kannst du dir das nicht vorstellen, Elena?«
    Es war nicht besonders schwer zu erraten, besonders nicht, wenn Elena sich vergegenwärtigte, was sie über Uram wusste. »Dein Vater fand, dass Engel wie Götter verehrt werden sollten«, sagte sie langsam. »Vampire und Sterbliche sollten sich vor euch verneigen.«
    »Ja.«
    Bevor Elena sich eine Antwort zurechtlegen konnte, klopfte es an der Balkontür. Außer Dunkelheit konnte Elena draußen nichts erkennen. »Ist es Jason?«
    »Ja«, sagte Raphael und erhob sich mit grimmiger Miene. »Und unten wartet Naasir.«
    Raphael trat auf den Balkon hinaus, und obwohl Elena wusste, dass sich Jason dort befand, konnte sie die Gestalt des schwarz geflügelten Engels nicht erkennen.
    Zieh dich an, Elena!
    Von dem drängenden Ton in seiner Stimme aufgeschreckt, sprang sie aus dem Bett und zog sich einen Baumwollslip an, dabei schenkte sie den Blutergüssen auf ihrem Rücken und ihren Oberschenkeln, die bereits eine erschreckend violette Farbe angenommen hatten, keine Beachtung. Über den Slip zog sie ein Paar schwarze Hosen, die aus einem festen, lederähnlichen Material gefertigt waren, und – nachdem sie Raphaels Hemd abgelegt hatte – ein Oberteil, das sie zwar umständlich wickeln musste, das aber ihre Brust bedeckte, während es ihre Arme und den größten Teil ihres Rücken frei ließ. Es lag eng an, und gab ihr genügend Bewegungsfreiheit, ohne dass überflüssiger Stoff sie behindert hätte.
    Elena spürte, dass es draußen kälter wurde, also zog sie sich lange, eng anliegende Ärmel über, die ihr knapp bis unter die Achseln reichten – auf diese Weise blieben ihre Arme warm, und sie konnte sie frei bewegen. Während sie in ihre Stiefel stieg, schickte sie Raphael, der den Balkon bereits verlassen hatte, ihre Gedanken zu. Wohin gehen wir?
    Dmitri wird dich hinführen.
    Der Vampir wartete schon im Flur auf sie, und dieses eine Mal umgab er sich nicht mit einer Aura aus Sex – es sei denn, man fand eine tödliche Nummer erotisch. Mit seinen schwarzen Lederhosen, dem schwarzen T-Shirt, das sich eng um seinen muskulösen Oberkörper schloss, und einem schwarzen, knöchellangen Mantel sah er aus wie die geschliffene Klinge des Todes. Über seiner Brust kreuzten sich Lederriemen, und Elena erkannte darin ein doppeltes Halfter.
    »Waffen?«, fragte er.
    »Pistole und Messer.« Die beiden Messer befanden sich dicht an ihren Oberschenkeln, aber die Pistole hatte sie nach langem Hin und Her in ihrem Stiefel verschwinden lassen; zuerst hatte sie sie irgendwo an ihrem Kreuz unterbringen wollen, doch dann war sie sich nicht sicher gewesen, ob sie ihre Flügel schon schnell genug wegziehen konnte, um an die Waffe zu kommen.
    »Gehen wir.« Dmitri war schon ein paar Schritte vorausgeeilt.
    Tiefschwarz strahlte der Nachthimmel, als sie ins Freie traten, und die Sterne leuchteten so klar und nah, dass man meinte, mit den Händen nach ihnen greifen zu können. Unter ihren Füßen glitzerte der erste Schnee, der in der kurzen Zeit seit ihrer Ankunft gefallen

Weitere Kostenlose Bücher