Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
leichten Bolzen? Sie funktionieren genauso gut, ohne dass du mit zu viel Gewicht fliegen müsstest.«
»Könntest du auch eine automatische Armbrust konstruieren?« Galen konnte sich sein Schwert sonstwohin stecken. Vielleicht waren ihre Gedanken kindisch, aber sie fühlte sich gleich besser. »Ich muss schnell sein.«
»Vielleicht wäre ein Modell mit rotierenden Sägeblättern noch besser – gib mir ein wenig Zeit. Die Bolzen wären dann eher leichtes Geschütz und die Sägeblätter für den Ernstfall.« Deacon zögerte. »Du kommst doch zur Gilde zurück?«
»Natürlich.« Sie war als Jägerin geboren, und daran konnte auch ein Paar Flügel nichts ändern.
Raphael begegnete auf dem Wandbildschirm Nehas Augen. Die Königin der Schlangen, der Gifte, thronte auf einem aus hellem, glänzendem Holz geschnitzten Stuhl. Der Glanz konnte nicht verbergen, dass die Schnitzereien aus Tausenden sich windenden Schlangen bestanden, die im Licht erstrahlten, als Neha sich zurücklehnte. Eine winzige goldene Kobra zierte ihre Stirnmitte.
»Raphael.« Ihre Lippen – rot, voll und giftig – öffneten sich. »Ich habe gehört, in der Zufluchtsstätte gibt es Ärger.«
»Ein Engel, der in den Rang eines Erzengels aufsteigen will.«
»Ja, so hat es mir meine Tochter berichtet.« Als sie mit ihrer zarten Hand eine wegwerfende Bewegung machte, klimperten ihre Armreife. »Es gibt immer jemanden, der über den ihm gebührenden Platz hinauswill.« Neha streckte ihren Arm aus, dabei raschelte die Seide ihres smaragdgrünen Saris. »Aber ich stimme dir zu, dieser hier muss eine Strafe erhalten, die man nicht so leicht wieder vergisst. Unsere Kinder sind zu kostbar, um als Schachfiguren hin und her geschoben zu werden.«
Trotz ihrer Wortwahl wusste Raphael, dass Neha zu den wenigen Kadermitgliedern zählte, denen auch das Leben menschlicher Kinder viel bedeutete. Das hielt sie zwar nicht davon ab, das Leben erwachsener Menschen auszulöschen, aber etwaige Waisen wuchsen bei ihr in ungeheurem Luxus auf, die Erinnerungen an den schmerzhaften Tod ihrer Eltern wurden aus ihrem Gedächtnis getilgt.
»Anoushka«, sagte sie jetzt und streichelte die Python, die sie gerade auf den Schoß genommen hatte, »berichtete mir, dass du von dem geschmacklosen Gegenstand in ihrem Bett weißt.«
»Du hast viele Feinde.« Und Anoushka war im Begriff, eine eigene Schar von Feinden um sich zu versammeln.
Neha streichelte die grüne Schlangenhaut, als würde sie einen Geliebten liebkosen. »Ja.«
»Hast du Neuigkeiten von den anderen, die uns bei der Jagd helfen könnten?« Der Gesuchte mochte schon vor seinen Anschlägen in der Zufluchtsstätte Fehler gemacht haben.
»Charisemnon und Titus haben ihre Grenzen geschlossen – keiner meiner Leute kann hinein oder hinaus.« Irritation flackerte in den dunklen Augen. »Favashi hat erwähnt, dass sie vor zwei Monaten ein paar ihrer älteren Vampire verloren hat. Der Täter wurde bislang noch nicht gefunden.« Jetzt erkannte er Argwohn in ihrem Bick.
Bestimmt hätte Neha so lange getötet, bis irgendjemand ein Geständnis abgelegt hätte. Zwar war das nicht immer unbedingt der Wahrheitsfindung dienlich, aber immerhin hatte es in ihrem Land noch nie einen Aufstand gegeben. »Wie geht es Eris?« Erst als er die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, dass er Elena angelogen hatte. Es gab noch einen Erzengel mit einer langen Beziehung. Aber er hatte nicht mit Absicht gelogen – wie die meisten anderen auch, hatte er Eris einfach vergessen.
»Er lebt.« In ihrer Akkuratheit ließen ihre Worte einem das Blut in den Adern gefrieren. »Anoushka verhört gerade ihre Leute, um den Verräter zu finden. Wenn sie etwas zutage fördert, lasse ich es dich wissen.«
Nachdem er die Verbindung abgebrochen hatte, überlegte Raphael, wann er Eris das letzte Mal gesehen hatte.
Vor dreihundert Jahren.
20
Elena saß in einer Ecke des Klassenzimmers und las einen Bericht über die jüngsten Ereignisse. Die Kinder bastelten Geschenke für Sam, da brach auf einmal die See in ihre Gedanken ein.
Es ist etwas passiert, dachte sie, und noch bevor Raphael etwas sagen konnte, suchte sie den Klassenraum hektisch mit den Augen ab, ob wohl eines der Kinder fehlte. Nicht noch ein Kind.
Lijuan hat dir ein Geschenk geschickt.
Was würde ein Engel, der den Tod als sein Symbol benutzte, wohl für ein passendes Geschenk halten? Bei diesem Gedanken wurde ihr eiskalt. Weißt du, was es ist?
Nur dein Blut kann es
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