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Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Titel: Gilde der Jäger 02 - Engelszorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. Singh
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seine Kindheit zurückgekehrt, hatte hochgeschaut in das herzzerreißend schöne Gesicht seiner Mutter, während er in seinem eigenen Blut auf der Wiese lag. »Es gibt uns Zugang zu Erinnerungen, die mit der Zeit so verblasst sind, dass wir sie für verloren halten.«
    »Nichts geht für immer verloren.« Ein warmer Atemhauch über seinem Nacken, Finger, die sich in seine Brust gruben. »Wir machen uns doch nur etwas vor, wenn wir glauben, dass die Dinge verblassen, sie bleiben für immer.«
    Raphael strich ihr über das glänzende, fast weiße Haar, das damals bei ihrem Absturz in Manhattan wie eine weiße Flagge über seinem Arm geweht hatte. Manche Erinnerungen, dachte er bei sich, sind unvergänglich.
    »Wovon träumt man im Zustand von Anshara?«
    »Darüber wird nicht gesprochen. Für jeden Engel ist diese Reise eine andere.«
    Elena spreizte ihre Finger über seinem Herzen. »Wahrscheinlich geht es darum, sich den eigenen Dämonen zu stellen.«
    »Ja.« Und dann traf er eine Entscheidung, die er selbst nie für möglich gehalten hätte – nicht seit jenem Tag, da er Caliane über das vom Tau glänzende Gras hatte schweben sehen, zart und leicht ihre Bewegungen, klar ihre Stimme, als sie das alte Wiegenlied summte. »Ich träume von meiner Mutter.«
    Elena blieb ganz reglos. »Nicht von deinem Vater?«
    »Mein Vater war das Monster, das alle Welt kannte.« Seine Mutter hingegen war das Grauen in der Dunkelheit, unerkannt und unerkennbar. »Caliane hat mir einen Abschiedskuss gegeben, als ich nach einem Kampf, den ich unmöglich gewinnen konnte, blutend am Boden lag.« Aber er hatte zumindest versuchen müssen, sich gegen den Wahnsinn seiner Mutter zur Wehr zu setzen. »Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.«
    »Hat der Kader sie umgebracht?«
    »Niemand weiß, was mit meiner Mutter geschehen ist.« Dieses Wissen quälte ihn schon seit Hunderten von Jahren und würde es wohl auch noch die nächsten tausend tun. »Sie ist einfach verschwunden. Nicht die geringste Spur von ihr seit dem Tag, an dem ich sie habe weggehen sehen.« Bis er gefunden wurde … eine Ewigkeit später. So jung und so verletzt, wie er damals war, hatte er keine Hilfe herbeiholen können, wie ein hilfloses Vögelchen hatte er mit gebrochenen Flügeln dagelegen.
    »Meinst du, sie hat es gewusst?«, fragte Elena traurig. »Dass sie sich selbst das Leben genommen hat, um dir die Aufgabe zu ersparen?«
    »Manche behaupten das.« Raphael fuhr sanft mit einem Finger über ihre Flügel. Wie immer faszinierte ihn diese Mischung der Farben, selbst unter Engeln war seine Jägerin einzigartig.
    »Und was glaubst du?«
    »Wenn Engel schon viele Tausend Jahre gelebt haben, dann entscheiden sie sich manchmal, zu schlafen, bis sie sich genötigt sehen aufzuwachen.« An geheimen, verborgenen Orten – dort legten sich die Engel zum Schlafen nieder, wenn die Ewigkeit ihnen zur Qual wurde.
    »Glaubst du, Caliane schläft?«
    »Bis ich ihre Leiche, ihre letzte Ruhestätte gesehen habe … ja, ich glaube, meine Mutter schläft.«
    Pst, mein Liebling. Pst.
    26
    Die nächsten sechs Wochen verbrachte Elena mit einem intensiven Waffen-und Konditionstraining. Wenn Raphael vor Ort war, trainierte sie mit ihm zusammen, hielt er sich im Turm auf, musste sie mit Galen vorliebnehmen. In ihrer Freizeit vertiefte sie sich in ihre Bücher, um sich möglichst viel Wissen anzueignen, oder sie besuchte Sam. Zu ihrer großen Freude ging Sams Genesung viel schneller voran als erwartet. Auch Noel war auf dem Weg der Besserung.
    In der Zufluchtsstätte war es nicht mehr zu offenen Gewaltakten gekommen … nur der blutbeschmierte Dolch der Gilde tauchte immer wieder an Orten auf, an denen sie sich aufhielt. Das Blut stammte von Noel, also gab es keinen Zweifel an dem Urheber der Drohung. Leider war jedoch kein einziger Vampirgeruch an dem Dolch gewesen. Und Elenas Fähigkeit, Engel zu wittern, war nach wie vor dem Zufall unterworfen.
    Der Morgen war kühl, und Elena hatte gerade einen weiteren Dolch im Labor abgegeben – verärgert, keine echte Spur gefunden zu haben, aber entschlossen, keine leichte Zielscheibe zu sein –, als plötzlich Nehas Tochter vor ihr stand.
    »Namaste.« Der Gruß kam aus dem Mund einer bezaubernd schönen Frau mit den mandelförmigen Augen einer Sybaritin – sah man einmal von ihrem berechnenden, wachen Blick ab.
    Elena reagierte mit freundlicher Gelassenheit. Bislang deutete nichts darauf hin, dass Anoushka der Engel war, nach dem sie

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