Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
sie gar nicht sehen konnte, nickte sie. »Stell ihn durch. Bringen wir die Sache hinter uns.« Diesmal würde sie sich nicht von ihm verletzen lassen. Den Mann, der sich dafür eingesetzt hatte, dass sie ihre toten Schwestern noch einmal sehen durfte, gab es nicht mehr, und mit dem Scheusal, das seinen Platz eingenommen hatte, war sie fertig.
Sara reagierte sofort. Ein Seufzer und Stille in der Leitung. »Ja?« Elena konnte sich einfach nicht dazu durchringen, ihn Vater zu nennen.
»Du musst sofort nach New York kommen. Es hängt mit deiner Arbeit zusammen.« In dem Wort Arbeit schwang derselbe Widerwillen mit, den ihr Vater immer äußerte, wenn von ihr als Jägerin die Rede war.
Und jetzt hielt er sie für eine Vampirin. Ein Wunder, dass er sich überhaupt dazu herabgelassen hatte, mit ihr zu sprechen. Ihre Hand krampfte sich noch fester als eben um den Telefonhörer. »Was ist passiert?«
Beredsames Schweigen. »Das Grab deiner Mutter wurde heute Nacht geschändet.«
Lijuan. Eiskalte Wut wühlte in ihren Eingeweiden. »Haben sie sie mitgenommen?«
»Nein«, sagte er barsch. »Der Täter wurde von einem Vampir gestört, der anscheinend zu Raphael gehört.«
Vor Erleichterung sackten ihr fast die Beine weg. Natürlich hatte Raphael Wachen an den Gräbern ihrer Familien postiert, nachdem sie das Geschenk von Lijuan bekommen hatte. Sie stützte sich auf den Schreibtisch, hatte Mühe, ruhig zu bleiben. »Vielleicht ist es endlich an der Zeit, dass du Mamas Wunsch erfüllst, sie einäschern lässt und ihre Asche in alle vier Winde verstreust.«
»Damit ich fliegen kann, Chérie.«
Das war Marguerites Antwort gewesen, als Elena nach einem Gespräch zwischen den Eltern den Grund für ihre Entscheidung wissen wollte. Ihre Mutter hatte damals mit ihrem Vater über ihre Beerdigungswünsche gesprochen.
»Das würde nicht nötig sein, wenn du nur deine Freunde von ihr fernhältst.« Jedes Wort ein Messerstich, darauf angelegt, sie zu kränken und zu verletzen.
Elena zuckte zusammen und sagte dann: »Oh doch, es wäre nötig, aber du hast ja noch nie ein Versprechen gehalten.« Und bevor ihr Vater noch etwas entgegnen konnte, legte sie auf, schlug sich die zitternde Hand vor den Mund.
Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür, und auch ohne sich umzudrehen, wusste sie, dass Raphael hereingekommen war. »Sie haben sie doch nicht angerührt?«
»Nein, sie sind nicht einmal in die Nähe des Grabsteins gekommen.« Er legte ihr von hinten die Hände auf die Schultern und zog sie an seine warme, breite Brust.
»Mein Vater hat es so dargestellt, als hätten sie meine Mutter schon halb ausgegraben gehabt.« Sie schloss die Hände um seine. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Ich habe erst vor ein paar Minuten davon gehört.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich wollte es dir selbst sagen – dass Jeffrey so schnell davon erfahren würde, damit habe ich nicht gerechnet.«
»Mein Vater kennt Gott und die Welt.« Sowohl die Gesetzestreuen als auch die Gesetzesbrecher. Auf diese Bemerkung hätte ihr Vater mit einer Ohrfeige reagiert. »Der Mann, der zum Grab meiner Mutter wollte … konnten deine Leute ihn stellen?«
»Ja.« Ihr stellten sich die Härchen im Nacken auf. »Er war ein Wiedergeborener.«
Sie schnappte nach Luft. »Er war geistig imstande, den Befehl ganz alleine auszuführen?«
»Anscheinend war er ein ganz frischer Neugeborener.« Raphael streichelte ihre Arme, ging dann zum Balkon und öffnete die Türen. »Sie können nicht sprechen, aber Dmitri sagt, er könnte schwören, dass der Mann ihn mit den Augen um Gnade angefleht hat.«
»Er wollte am Leben bleiben?«
»Nein.« Er hielt ihr die Hand hin.
Ohne zu zögern, ergriff sie sie, und gemeinsam traten sie hinaus auf den Balkon, wo sie eine frische Brise erwartete. Als sie so nebeneinander standen, berührten sich ihre Flügel. Nie, dachte Elena, würde sie jemand anderem erlauben, ihr so nahe zu kommen. »Warum ist er nicht geflohen oder hat sich umgebracht?«
»Lijuan führt ein strenges Regiment als Herrscherin über ihre Marionetten. Aber ich bezweifle, dass sie sie über eine solch große Distanz manipulieren kann. Deshalb glaube ich, dass da noch jemand gewesen sein muss, den Dmitris Leute aber nicht gefunden haben.«
»Jemand, dem der Wiedergeborene folgen musste.« Ungläubig fragte sich Elena, welch böse Mächte wohl einen Toten einschüchtern konnten. »Was hat Dmitri mit ihm gemacht?«
»Seinem Wunsch
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