Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
Stück tiefer als er, damit sich ihrer beider Flügel nicht in die Quere kamen, und streckte ihm die Hand hin. Ich werde dich ebenfalls nicht an sie verlieren. Das hier löst das Gefühl einer Falle in mir aus, Raphael.
Raphael schloss seine Hand um ihre und hielt sie fest. Das ist gut möglich. Und du willst mit mir hineinfliegen?
Sie ließ ihre Gedankenstimme verrucht klingen. Gefahr ist nicht nur mein zweiter Vorname, sondern auch mein erster. Und mein Nachname außerdem.
Elektrisierende Hitze flackerte auf, als Raphaels Macht sich entfaltete und sie umfing. Sie hatte Elena geschützt, als sie den intimsten aller Tänze getanzt hatten, hatte sie durchströmt, als er wütend gewesen war. Doch noch nie war sie in solch unmenschlicher Vollständigkeit darin eingehüllt gewesen, dass ihr von dieser schrecklichen Macht die Tränen aus den Augen liefen. Sie kniff sie fest zusammen und drückte seine Hand. Ich kann nichts sehen.
Es wird nicht lange dauern. Wenn der Schutzschild um die Stadt eine Falle ist, wird es uns genug Zeit verschaffen, wieder herauszukommen.
Mit diesen Worten flog er los und zog sie mit sich.
Sie spürte, wie sie auf die kühle Energieschwelle des Schutzschildes trafen. Der Stoß erschütterte sie am ganzen Körper, doch am stärksten dort, wo ihre Finger mit Raphaels verschränkt waren – ein reißendes Ziehen, das versuchte, sie zu trennen. Wenn das gelang, würde sie hinauskatapultiert werden, und Raphael würde im Inneren der Stadt verschwinden. Davon war sie überzeugt. Und sie konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob diese Stadt eine extravagante Luftspiegelung war oder die Falle eines Erzengels, der so alt war, dass ihr alle Knochen schon beim bloßen Gedanken daran wehtaten.
Halte durch.
Sie wusste nicht, wer von ihnen das gesagt hatte. Inzwischen prasselte der eisige Regen brutal auf ihren Körper ein, ihr Handgelenk drohte zu brechen – Caliane war fest entschlossen, sie auseinanderzureißen. Das wird ihr nicht gelingen, dachte sie und biss die Zähne zusammen, um den Schmerz in ihren Sehnen auszuhalten, die jeden Moment zu zerreißen drohten.
Einen Augenblick und eine Ewigkeit später stürzten sie in rasendem Tempo aus dem Regen, hinein in die seltsame Stadt. Noch vor einigen Monaten wäre Elena nicht in der Lage gewesen, ihren Fall abzubremsen. Doch vor einigen Monaten war sie ein gerade flügge gewordener Engel gewesen. Sie ließ Raphaels Hand los, um ihn nicht mit sich zu ziehen, breitete die Flügel aus und begann, mit starken, schnellen Bewegungen aufwärts zu schlagen, um die Geschwindigkeit ihres in die Tiefe stürzenden Körpers zu bremsen.
Es zeigte sich ziemlich schnell, dass ihr das nicht gelingen wollte.
Noch maximal vier Sekunden – dann würde sie nur noch aus Fragmenten bestehen, an dem Dach aus glattem, grauem Stein unter ihr zerschellt sein.
Elena.
Sie fuhr ihre Schilde hoch, als Raphael die Kontrolle übernehmen wollte. Spare deine Kräfte. Dann sammelte sie jedes Quäntchen ihrer eigenen Kraft, um das zu verhindern, was angesichts ihres Alters ein tödlicher Sturz werden konnte. Wenn sie zu viele Körperteile verlor, war sie verloren. Aber sie hatte hart trainiert. Sie besaß alle Fähigkeiten. Sie musste nur … Ich hab’s!
Ihre Flügel streiften schon den rauen Stein eines Gebäudes, als sie es schaffte, ihren Flugwinkel ausreichend zu verändern. Sie verfehlte das Dach um Haaresbreite und fiel in eine Lücke zwischen zwei der anmutigen grauen Gebäude. Das verschaffte ihr genug Zeit, um sich zu stabilisieren und sich wieder in den Himmel zu erheben. Sie rechnete damit, dass Raphael wegen ihres Ungehorsams wütend sein würde, doch als bei ihm ankam, starrte er auf die Stadt hinab. Er strich sich das feuchte Haar aus der Stirn.
»Was ist das ?« , fragte sie, während sie sich selbst mit der Hand durchs Haar fuhr … und feststellte, dass hier kein Sturm gewütet hatte. Regen strömte unerbittlich gegen den Schutzschild, doch im Inneren war alles in ein goldenes Licht getaucht, das die scharfen Kanten der Häuser fast weich erscheinen ließ. »Es fehlen Blumen « , hörte sie sich selbst sagen. »Irgendwie sieht es nicht richtig aus .« Sie konnte den Schwebezustand nicht länger halten und ließ sich behutsam auf das Dach nieder, auf das sie vor nur einer Minute fast aufgeschlagen wäre.
Raphael folgte ihr mit wesentlich mehr Anmut. »Früher war die Stadt fast überwuchert damit .«
»Womit ?«
»Mit Blumen .«
Sie sah von der Dachkante
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