Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
höheren Dach gefunden hatten. Calianes vordem weißes Gewand war mit schwarzen Streifen überzogen, und ihr unendlich schönes Gesicht hatte auf einer Seite Verbrennungen erlitten, doch für einen Erzengel war all das nur eine Geringfügigkeit.
Nach der Landung suchte Elena nach einem Anzeichen für die Schwärze, die wie schleichendes Gift von Raphael Besitz ergriffen hatte. Calianes Flügel trugen Spuren der öligen Glätte, doch … »Ich glaube, sie hat es abgefangen « , sagte sie zu Illium.
»Ich bin die Mächtigste der Erzengel « , erklang eine Stimme von solch makelloser Klarheit, dass es fast wehtat, sie zu hören. »Lijuan ist noch schwach .«
Die Augen von Raphaels Mutter hatten einen ebenso makellosen Farbton wie seine, eine Schattierung, die kein Sterblicher jemals haben würde, doch in ihnen lag etwas … etwas Unbekanntes und Altes, so unfassbar alt . Elena trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie Caliane sich mit geschmeidigen Bewegungen und einer Eleganz erhob, der ihre Verletzungen und zerrissene Kleidung nichts hatten anhaben können. Die schwarzen Narben waren schon merklich kleiner geworden.
Der Blick des Erzengels bohrte sich in sie. »Mein Sohn nennt dich seine Gemahlin .«
»Ich bin seine Gemahlin « , sagte sie und wich keinen Schritt vor ihr zurück. Caliane hatte nicht die Eigenschaft Lijuans, vor der ihr stets schauderte, und sie spielte auch nicht die Verführerin wie Michaela, doch sie hatte etwas Fremdartiges an sich, etwas, das Elena noch bei keinem anderen Erzengel gespürt hatte, so alt er auch immer war. Als hätte Caliane schon so lange gelebt, dass sie zu etwas wirklich anderem geworden war, obwohl sie im Gegensatz zu Lijuan ihre körperliche Gestalt beibehalten hatte.
Als Caliane die Hand hob und unerwartet gelbgrüne Flammen an ihren Fingern leckten, hörte Elena, wie Illium mit einem sausenden Geräusch sein Schwert aus der Scheide zog, und wusste, dass er sich vor sie stellen würde. »Nicht, Illium .«
Der blau geflügelte Engel gehorchte nicht. »Du hast gesagt, ich müsste mich entscheiden, zu wem ich halte, Elena. Es ist Raphael, und du bist sein Herz .«
Weil sie wusste, dass sie niemals in der Lage sein würde, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, ging sie statt seiner einen Schritt zur Seite, sodass sie Caliane ganz im Blick hatte. »Er will nicht, dass Sie verrückt sind .« Fast erwartete sie einen Wutausbruch wie einen Peitschenhieb – Erzengel mochten es ganz und gar nicht, auf diese Art von Sterblichen oder frisch erschaffenen Engeln angesprochen zu werden.
Doch Caliane wandte den Kopf, ihr Haar bewegte sich im Wind. »Mein Sohn .« Unbändiger Stolz. »Er ist von Nadiel und mir, doch er ist besser als wir beide zusammen .«
Da setzte Raphael vor Caliane zur Landung an, und Illium wich weit genug zur Seite, dass Elena sehen konnte, wie Mutter und Sohn sich zum ersten Mal seit über tausend Jahren von Angesicht zu Angesicht gegenübersahen.
Raphaels Herz, ein Herz das er versteinert geglaubt hatte, bevor er Elena kennenlernte, wurde von quälenden Dolchen durchbohrt, als er den Ausdruck von Liebe auf dem Gesicht seiner Mutter sah. Er brachte die Erinnerungen zurück, die sonst nur während des Anshara, dem tiefsten Heilschlaf, hervorkamen.
Er erinnerte sich nicht nur daran, dass sie ihn mit gebrochenen Knochen auf jenem verfluchten Feld zurückgelassen hatte, sondern auch daran, wie sie ihn als Kind getröstet hatte, wenn er weinte, wie sie seine Tränen mit ihren eleganten Fingern weggewischt hatte, bevor sie sein Gesicht mit einer Zärtlichkeit küsste, bei der er seine Arme um sie geschlungen und sie festgehalten hatte. »Mutter « , sagte er, das Wort kam leise, rau und voller Erinnerungen.
Ihr Lächeln zitterte. Sie streckte die Hand aus und hob sie an seine Wange. Kühl berührten ihre Finger seine Haut, als hätte ihr Blut noch nicht wieder richtig begonnen, durch ihre Adern zu pulsieren. »Du bist so stark geworden .«
Es war ein Echo seines Traums, und er fragte sich, ob sie sich daran erinnerte. »Ich kann dir die Freiheit nicht gewähren, Mutter .« Es musste gesagt werden, auch wenn der Junge in ihm vor Fassungslosigkeit darüber taumelte, ihr so nah zu sein, so unfassbar nah.
Ihre Hand sank von seiner Wange herab und legte sich auf seine Schulter. »Ich suche die Freiheit nicht. Noch nicht .«
Er gab dem Bedürfnis nach, einem Bedürfnis, das mehr als ein Jahrtausend überdauert hatte, sie an sich zu ziehen und in die Arme zu
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