Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
konntest du unter den liebevollen Händen meiner Schwester nur so weichherzig bleiben, hmm?«
Weil ich nicht so enden wollte wie sie … wie du. Abermals brach ihr das Herz, als ihr klar wurde, dass manche Kindheitsträume niemals wahr wurden.
»Keine Sorge. Jetzt bin ich hier und werde mich um dich kümmern.« Nivriti warf einen Blick über ihre Schulter. »Begleitet meine Tochter in ihr Zimmer. Sie sollte sich ausruhen.«
Mahiya ließ sich das saubere und gemessen an den sonstigen Räumen dieses Palasts luxuriöse Zimmer zeigen. Offensichtlich wurde sie als Nivritis Kind mit allen Ehren behandelt.
»Jetzt bin ich hier und werde mich um dich kümmern.«
Vor Kummer war ihre Kehle wie zugeschnürt, als sie sich auf das Himmelbett setzte. Sie legte ihre Hand auf einen der geschnitzten, auf Hochglanz polierten Holzpfosten und dachte nach. Darüber, wer sie war und was sie mit ihrer unsterblichen Existenz anfangen wollte, die sich endlos vor ihr erstreckte.
Auch wenn Nivriti etwas anderes glaubte, Mahiya war kein Kind mehr, sie hatte darum gekämpft, sich aus der Gewalt eines Erzengels zu befreien. Jason hatte ihr dabei geholfen, diese Freiheit zu erlangen, und vielleicht hätte sie es allein niemals geschafft. Aber sie hatte nie aufgegeben, obwohl ihre Chancen verschwindend klein gewesen waren und sie ihr ganzes Leben lang einem Erzengel ausgesetzt gewesen war, der ihren Willen brechen wollte. Darüber hinaus hatte sie es mit nur einem einzigen, schwachen Trumpf auf der Hand fertig gebracht, einen Handel mit ihrem Meisterspion abzuschließen.
»Du musst mir etwas als Gegenleistung geben. Ich kann nicht die wertvollste Information preisgeben, die ich besitze, ohne dafür etwas von vergleichbarem Wert zu bekommen.«
Mit diesen Worten hatte sie gefordert, dass er ihren Wunsch nach Freiheit respektierte.
Doch jetzt befand sie sich wieder in einem Gefängnis. Zwar gab es keine Schlösser, und es steckte auch keine böse Absicht ihrer Mutter dahinter, aber diese hatte unmissverständlich klargemacht, dass sie in Mahiya ein kleines Kind sah. Jemanden, der mit gestutzten Flügeln sicher in diesem Palast verwahrt wurde und den man wegschickte oder schweigen hieß, wenn sich Erwachsene unterhielten. Geschützt vor der rauen Wirklichkeit der Welt.
»Begleitet meine Tochter in ihr Zimmer.«
Schon jetzt wurde Mahiyas Brustkorb von einem erdrückenden Erstickungsgefühl zusammengeschnürt. »Es ist zu spät, Mutter«, flüsterte sie. Es war eine Entscheidung, die sie treffen musste, bevor sie ihr Leben fortführen konnte. »Ich bin schon lange kein kleines Kind mehr.«
Schmerzhaft spürte sie die Trauer im ganzen Körper – Trauer um alles, was sie beide verloren hatten, um all die Zeit, die sie nie mehr nachholen konnte. Aber da war auch ein süßes Gefühl von Erleichterung, denn sie wusste, dass sie jetzt gehen musste, wenn sie eine Beziehung zu ihrer Mutter aufbauen wollte. Und dieses Wissen linderte die bleiernen Schuldgefühle darüber, dass sie Nivriti verlassen würde. Es war die einzige Möglichkeit, sie zu der Einsicht zu zwingen, dass Mahiya eine erwachsene Frau war. Eine Frau, die einen Meisterspion mit schwarzen Flügeln liebte.
Hatte es Jason gewusst? Dass sie Nivriti auf dem Schlachtfeld hatte folgen müssen, weil sie sich sonst für immer gefragt hätte, wie ihr Leben bei ihrer Mutter verlaufen wäre? Und dass andernfalls immer die Schuld auf ihrer Brust gelastet hätte, diese Frau verlassen zu haben, die einen Albtraum überlebt hatte und Mahiya mit so viel Liebe in den Augen ansah?
Ihre Mundwinkel hoben sich, denn natürlich hatte er es gewusst – Jason dachte immer vier Schritte voraus. Hoffnung keimte in ihr auf, doch Mahiya klammerte sich fest an den Bettpfosten und zwang sich, vernünftig zu bleiben und nicht zu vergessen, dass er bei ihrer Trennung mit keinem Wort die Absicht erwähnt hatte, sie zu suchen und wieder mit ihr zusammenzutreffen. Und selbst wenn er das wollte, hätte er ihre Entscheidung nicht voraussehen und nicht ahnen können, dass sie bereits wenige Stunden nach ihrer Ankunft wieder aufbrechen wollte. Aus Treue zu Raphael hatte er den Subkontinent wahrscheinlich schon verlassen, um seinen Bericht abzugeben.
Mahiya war also auf sich allein gestellt.
Sie holte tief Luft, stand auf und machte eine Bestandsaufnahme von sich. Von ihrem Flug zum Palast war sie ein wenig müde, allerdings nicht richtig erschöpft, denn die Armee war langsamer als sonst geflogen, damit ihre verletzten
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