Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
einem unterirdischen Reservoir gespeist werde. »Unmöglich, dass ihn jemand vergiftet.«
Solche Vorsichtsmaßnahmen konnten die Festung nicht gegen einen Angriff aus der Luft schützen, aber auf den Bergen, von denen das Tal umringt war, waren Boden-Luft-Waffen installiert worden, von denen Mahiya annahm, dass sie bis zu dem Angriff auf Neha getarnt gewesen waren. Nur eine einzige Straße führte in die Festung. Bei ihrer Rückkehr in den Palast kam sie zu dem Schluss, dass dieser Ort wie geschaffen dafür war, einer Belagerung standzuhalten.
Eigentlich schien niemand sie zu beachten, und doch tauchten stets wie aus dem Nichts Wachen auf, um sie in eine andere Richtung zu weisen, sobald sie in einen bestimmten Gang einbiegen wollte. Sie nahmen ihr auch die Armbrust ab, angeblich um sie zu reinigen.
Mit ihrem besten Prinzessinnenlächeln sagte sie: »Danke«, und gehorchte ohne Widerrede.
Eine Stunde lang musste sie beobachten und warten, aber endlich wurden die verbleibenden Wachen zu einer anderen Aufgabe gerufen, und in nicht einmal zehn Sekunden hatte Mahiya es bis zur Tür geschafft und war hineingeschlüpft. Die dahinterliegenden Räume waren mit altmodischen Riegeln und Vorhängeschlössern versehen. Die kleinen Fenster in den Türen waren vergittert.
Eine plötzliche Kälte durchfuhr sie, als sie durch das erste Fenster blickte.
In der Zelle lag ein blutüberströmter, bewusstloser Engel, dessen Flügel mit Pflöcken am Boden fixiert waren – jemand hatte sie durch seine Federn, Sehnen und Muskeln getrieben. Entsetzen drohte ihr den Brustkorb zu zerquetschen, doch sie zwang sich, zur nächsten Zelle zu gehen – wo sie einen Vampir vorfand, der mit dicken Ketten an den Handgelenken aufgehängt worden war. Er war zerschlagen und blutverschmiert, der Kopf fiel kraftlos auf die Brust. Sie kannte beide aus der Erzengelfestung. Keiner von ihnen war so mächtig, dass er sofort vermisst werden würde, aber sie waren alt genug, um sich mit den internen Vorgängen dort auszukennen.
»Mahiya.«
Sie hatte Nivritis Stiefel gehört, deshalb schrak sie nicht zusammen. »Du hast diese Leute zugrunde gerichtet.«
»Neha würde mit meinen Leuten dasselbe tun.« Eis, unbeugsam und hart. »Mir hat sie weit Schlimmeres angetan.«
In diesem Moment wurde Mahiya klar, dass sie bis jetzt immer noch in einem geheimen Winkel ihres Herzens die Hoffnung genährt hatte, dass die Morde an Eris und Audrey, an Shabnam und Arav eine Entgleisung gewesen waren und dass ihre Mutter nicht bis ins Mark von dieser abscheulichen Grausamkeit durchdrungen war. »Wirst du sie jetzt freilassen?«
»Nein.« Nivriti streckte die Hand zwischen den Gitterstäben hindurch und schleuderte ihr klebriges grünes Netz über die Kehle des Vampirs.
»Mutter, hör auf!« Sie packte Nivritis Hand und zerrte daran, aber es war zu spät. Die Substanz begann schon ihre Wirkung auf dem Gefangenen zu entfalten.
Unter Mahiyas entsetzten Blicken lösten sich seine Haut, die Muskeln und Knochen in weißen Blasen auf, bis der Körper unter dem Hals verschwunden war. Die einzige Gnade war, dass der Mann nicht mehr zu Bewusstsein kam. »Das ist …«
»… barmherziger als das, was Neha ihm angetan hätte, wenn er zu ihr zurückgekrochen wäre.«
»Deine Macht hatte mit Vögeln zu tun.« Das Flehen eines Kindes, das verzweifelt versucht, sich etwas von der Mutter aus seinen Träumen zu bewahren. »Mit lebenden Wesen.« Nicht mit diesem sadistischen Tod.
Das Lächeln in Nivritis Augen hatte einen giftig grünen Ton angenommen. »Diese Gabe ist gestorben«, sagte sie offen. »Aber unter der Erde begraben fand ich Trost in anderen Geschöpfen.« Sie ging zu der Zelle hinüber, in der der Engel lag. »Als ich Nahrung brauchte, haben sie ihr Leben geopfert und ihre Kräfte mit mir geteilt.«
»Nein! Bitte!« Wieder versucht Mahiya ihre Mutter aufzuhalten, als diese fast beiläufig ihr grünes Netz über den Engel warf.
Aber Nivriti war über dreitausend Jahre alt und ihre Kraft selbst nach einer solchen Schlacht noch unermesslich. Es war ein ungleicher Kampf, den Mahiya nicht gewinnen konnte. Zitternd zwang sie sich hinzusehen, um sich an diesen Tod erinnern zu können, während sich der Engel in Nichts auflöste. Er und der Vampir hatten ein Epitaph verdient, hatten es verdient, nicht einfach vom Angesicht der Erde zu verschwinden.
Seufzend wollte Nivriti die Hand an Mahiyas Wange legen und schüttelte den Kopf, als ihre Tochter taumelnd zurückwich. »Wie
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