Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Obst – exotische Pfirsiche und dunkle Kirschen aus weit entfernten Ländern, in denen Eis und Kälte herrschte, Feigen und Aprikosen aus Nehas eigenen Plantagen – stand daneben.
Fliegen summten über dem Silberteller, doch sie hatten kein rechtes Interesse an den Köstlichkeiten.
Stattdessen galt ihre Aufmerksamkeit ganz der verwesenden Männerleiche, die mit gebrochenen Knochen halb auf, halb vor dem Diwan lag, die Flügel in einer letzten, dramatischen Pose ausgebreitet. Die Brust war aufgerissen und bestand nur noch aus einem großen Loch. Um den Körper herum war das Blut zu einer spröden Substanz kristallisiert, die an glänzendes, rosa Steinsalz erinnerte. In der Bauchhöhle selbst jedoch hatte es sich verhärtet und den tiefdunklen Rotton der Kirschen angenommen, ein Anzeichen dafür, dass sein Körper sich zu heilen versucht hatte und gescheitert war.
Todesrubine.
Mahiya fühlte sich von der Vorstellung abgestoßen, Edelsteine zu tragen, die aus dem Blut toter Engel bestanden, aber in früheren Zeiten war das ein allgemein üblicher Brauch gewesen. Die Geliebten jener Engel, bei deren Tod die Todesrubine entstanden waren, trugen die Steine als Memento mori. Es lag nahe, dass Eris selbst jetzt im Tod noch schön war, denn zu Lebzeiten war dieser Mann mit einer Haut wie schimmerndes Gold und Augen so blau wie Lapislazuli die Verkörperung physischer Vollkommenheit gewesen.
Jason zeigte beim Anblick von Eris’ verstümmeltem Körper keinerlei Abscheu. Sein Atem ging gleichmäßig, während er die Überreste ihres »Vaters« untersuchte.
»Wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, dich in der Wiege zu erwürgen, ich hätte es sofort getan. Ohne dich hätte sie mir meine Verfehlung vergeben, die schon so lange zurückliegt.« Ein Weinglas zersprang auf Marmor. »Sei vorsichtig, wenn du schläfst, Mädchen. Ich habe Freunde, die dir an meiner Stelle das Genick brechen könnten.«
Das war ihre lebhafteste Erinnerung an den Mann, der seinen Samen zu ihrer Zeugung beigetragen hatte.
Fliegen umsummten die Überreste des Mannes, dem die Trinksprüche an Höfen vom antiken Griechenland bis zur Verbotenen Stadt gegolten hatten. Jason ignorierte die Insekten und beugte sich tief hinunter, um seinen ersten Eindruck zu bestätigen, dass Eris’ Herz und alle anderen inneren Organe entfernt worden waren. Zu seiner Rechten sah er einen Haufen undefinierten, verwesenden Gewebes und nahm an, dass es sich dabei um die zerstückelten Überreste dieser Organe handelte.
Dass der Kopf noch mit dem Hals verbunden war, überraschte ihn – obwohl Eris allgemein als zu schwach angesehen wurde, um der Gemahl eines Erzengels zu sein, lag diese Schwäche in seinem Charakter und nicht in der schieren Macht, die seinem Körper innewohnte. Er war mehr als alt und stark genug, um inzwischen wieder auferstanden sein zu können, wenn sein Gehirn intakt gewesen wäre.
Jason untersuchte etwas unter einem von Eris’ Nasenlöchern, das wie getrocknetes Blut aussah. Die Substanz war beinahe schwarz und eher verklumpt als kristallisiert. »Wurde bei der Leiche eine lange Nadel gefunden?«
Mahiya schüttelte den Kopf. Ihre Miene zeigte nichts von dem Kummer und dem Schmerz, den man bei einer Frau neben der Leiche ihres Vaters erwartet haben würde. »Seit Neha die Leiche entdeckt hat, wurde nichts aus dem Palast entfernt.« Eine Pause. »Soll ich das Zimmer durchsuchen?«
»Ja.« Als sie damit begann, beugte er sich vor, legte die Hand unter Eris’ Kopf und hob ihn an, um mit den Knöcheln der anderen Hand gegen den Schädelknochen zu klopfen.
Mahiya unterbrach ihre Suche. »Es hört sich … hohl an.«
»Sein Gehirn wurde entfernt.«
Die Prinzessin hob ihren Sari sorgsam über den vom Blut verfilzten Teppich, als sie ohne die gesuchte Nadel von ihrer Suche zurückkehrte. Was sie dann sagte, hatte Jason ganz gewiss nicht von einer Frau erwartet, die in zartestes Rosa gekleidet war und bei jeder Bewegung elegante Weiblichkeit ausstrahlte. »Und wie?« Hinter der Fassade distanzierter Höflichkeit blitzte zielstrebige Neugier hervor. »Sein Kopf ist unversehrt.«
Jasons Interesse an Mahiya wuchs. »Eine am Ende gebogene Nadel wird durch die Nase ins Hirn gestoßen.« Er beschrieb die Methode, die von den Menschen im alten Ägypten für die Mumifizierung verwendet worden war. »Dann wird die Nadel so lange hin und her bewegt, bis das Gehirn in einem Zustand ist, in dem es auf dem gleichen Weg entnommen werden kann.«
Nach der Menge
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