Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
getrockneten Gewebes direkt unter dem Kopf zu urteilen, war das Gehirn vermutlich zu einer dünnen Flüssigkeit gerührt worden, damit es aus Eris’ Nase laufen konnte, bevor man ihn wieder umgedreht und in seine jetzige Lage gebracht hatte.
Es entstand eine kurze Stille, und Jason fragte sich, ob er die innere Stärke dieser Prinzessin falsch eingeschätzt hatte. Obwohl sie in einem solchen Treibhaus wie dem der Festung aufgewachsen war, waren die Augen, aus denen sie ihn anblickte, so hell wie die einer Katze, und es lag eine unbeugsame Intelligenz darin, die weder zu ihrer stillen Fügsamkeit gegenüber Nehas Forderungen passte, noch zu der Art, wie sie seinen eigenen Anweisungen ohne Widerspruch Folge leistete.
Als sie dann sprach, wusste er, dass seine Instinkte ihn nicht getrogen hatten. Auch wenn Mahiya als Gegnerin nicht so stark war, dass es ihm Sorgen bereiten konnte, war sie dennoch kein verhätscheltes Prinzesschen, das er ignorieren konnte. »Also«, ein nachdenklicher Blick, »wer das hier auch getan hat, der war gut vorbereitet. Er hatte nicht nur das Messer bei sich, mit dem er Eris zerstückelt hat, sondern auch den Haken und vielleicht noch weitere Werkzeuge.«
»Einschließlich einer Garrotte.« Jason deutete auf den Abdruck auf Eris’ nekrotischem Leib; in der sonnengoldenen Haut lebten jetzt die Wesen, die sich vom Tod ernährten.
»Das könnte der erste Angriff gewesen sein.« Ausreichend, um den Engel außer Gefecht zu setzen und dem Mörder Zeit zu verschaffen, ihm weitere schwächende Verletzungen zuzufügen. Denn wenngleich die Menschen Engel als unsterblich bezeichneten, gab es womöglich nur ein Wesen auf der Welt, das wirklich unsterblich war: Lijuan. Der Rest von ihnen war einfach nur schwerer zu töten.
»Er war gefesselt.« Mahiya deutete auf die noch sichtbaren Male an Eris’ Handgelenken, wo das verwesende Fleisch den Blick bis auf die Knochen freigab. »Denn dass sich die Haut so schnell zersetzt …«
»… bedeutet, dass die Fesseln bis auf die Knochen eingeschnitten haben müssen.« Das erklärte auch die kristallisierten Blutspritzer unter seinen herabhängenden Handgelenken. »Er besaß genug Macht, um ein herkömmliches Seil zerreißen zu können. Dieses hier muss mit Metall versetzt gewesen sein.«
»Oder vielleicht hat der Mörder zusätzliche Garrotten als Fesseln benutzt?«, schlug Mahiya vor, die mit einem Mal zögerlich wirkte.
Nach diesen Worten fragte sich Jason, was für eine Art von Leben die Prinzessin wirklich geführt haben mochte, dass sie intuitiv die gleiche düstere Schlussfolgerung gezogen hatte wie er selbst. »Ja. Wäre es möglich, dass Neha ihm die Fesseln abgenommen und die Beweismittel vernichtet hat?« Die Tat einer Frau, die nicht wollte, dass ihr Geliebter gefesselt und hilflos aufgefunden wurde.
Aber Mahiya schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat den Raum nur eine halbe Minute vor mir betreten.«
Und das bedeutete, dass Eris absichtlich auf diese Art zurückgelassen worden war – ausgestellt wie eine Trophäe oder eine Warnung. Aber wer würde es wagen, ein solches Spiel mit Neha zu treiben? Ein anderes Kadermitglied? Das musste in Betracht gezogen werden. Ebenso wie die Tatsache, dass Eris nicht einfach nur umgebracht worden war; man hatte ihn gefoltert. Sein Leiden hätte wiederum dem Zweck dienen können, Neha Schmerz zuzufügen, aber die ganze Angelegenheit hatte etwas zutiefst Persönliches an sich.
Alles war mit engem Körperkontakt einhergegangen, vom Erdrosseln bis zu der Art, wie die Organe des Mannes entnommen worden waren: mit einem kleinen, stumpfen Messer, wenn Jason die Spuren auf den Knochen richtig deutete. Sein Gefühl sagte ihm, dass das Gehirn bis zum Schluss aufgespart worden und Eris mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Bewusstsein gewesen war, während der Mörder Stücke aus seinem Körper gehackt hatte. Er musste in Schmerzen und Grauen ertrunken sein … was das wunde Fleisch um seinen Mund sowie die Einschnitte in seiner Zunge und seinen Lippen erklärte.
Eine Art Knebel, um seine Schreie zu unterdrücken.
Beim Aufstehen sah er sich Eris’ seidene Hose und die mit traditionellen Motiven bestickte Weste an, unter der seine muskulöse Brust zu sehen gewesen sein musste. »War das seine übliche Kleidung?«
»Ja – er war nie unsauber oder ungepflegt, aber die Förmlichkeiten des Hofes hatte er längst aufgegeben.«
Und stattdessen beschlossen, dachte Jason, sich jene lässige Sinnlichkeit zu eigen zu machen,
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