Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
die bei seiner Frau auf Gegenliebe stoßen würde. Einer Frau, die ihm in dreihundert langen Jahren nicht vergeben hatte. Als er sich im Zimmer umsah, fand Jason einen sauberen Fußboden unter dem frisch vergossenen Blut vor, außerdem blank polierte Statuetten und schimmernde Wände. Offensichtlich hatten Diener Zutritt zu dem Palast.
Und andere Personen, erinnerte er sich.
Kallistos, der Vampir, der versucht hatte, Dmitri zu töten, hatte den Standort von Eris’ Haus in den Vereinigten Staaten gekannt, obwohl die meisten dieses Anwesen vergessen hatten. Es war durchaus möglich, dass der Vampir die Angaben von Eris persönlich erhalten hatte, entweder als Gegenleistung für einen Gefallen oder zusammengesetzt aus einzelnen Informationen, die Eris fallen gelassen hatte. Offenbar war es also nicht unmöglich, Zugang zu diesem Palast zu bekommen.
»Ich habe genug gesehen.« Er ging auf den Torbogen zu, durch den sie hereingekommen waren, und wartete dort auf Mahiya, damit sie nicht zurückblieb. Allerdings hatte er genug Zeit gehabt, um ihre Gefahrenstufe einzuschätzen, und war zu dem Schluss gekommen, dass sie in seinem Rücken keine Bedrohung darstellte – selbst wenn sie sich so leise wie der Wind bewegte, war es doch nicht leise genug. Darüber hinaus trug sie keine schweren Waffen am Leib, ihr Sari fiel makellos an ihrer Figur herab und verriet, dass die Rundung ihrer Taille unter dem Stoff unbewehrt war.
Ihr Gang war zu fließend, als dass sie ein Messer in einer Scheide am Schenkel hätte tragen können, und ihre Armreifen zu dünn, um eine Garrotte darin zu verbergen. Allerdings … die Nadeln in ihrem Haar waren sehr, sehr spitz. Richtig eingesetzt, konnten sie einen Mann blenden, seine Halsschlagader durchstoßen oder sogar sein Herz zum Stillstand bringen. Es waren die Waffen einer Frau, die zwar keine ausgebildete Kämpferin war, aber auch nicht darauf warten wollte, zum Opfer zu werden.
Jason spürte, wie sich in ihm eine unerwartete Faszination regte. Welche Geheimnisse verbirgst du noch, Prinzessin?
Rechts neben der Tür empfing ihn eine Treppe, die breit genug war, um Platz für geflügelte Wesen zu bieten. Auf die oberen Stufen fiel das verblassende Mondlicht in den Rot-, Gelb- und Blautönen eines Buntglasfensters, das vielleicht vierzig Zentimeter breit und mindestens einen Meter hoch war. Er stieg hinauf, ließ den Flur, der zu den Zimmern auf dieser Etage führte, unbeachtet und wandte sich stattdessen nach rechts – um durch eine Flügeltür neben einem weiteren hohen Buntglasfenster zu treten.
Sie führte auf einen großen Balkon hinaus, der zu allen Seiten von einer zierlichen Filigranarbeit aus Stein umgeben war. So hatte Eris Ausblick in den Garten gehabt, war selbst jedoch vor Blicken von unten geschützt gewesen. Diese Art erlesener Handwerkskunst war bereits in antiken Bauformen nicht unbekannt, allerdings wurde sie in den meisten Fällen von Männern benutzt, um ihre Geliebten und Konkubinen vor den Blicken derer abzuschirmen, die sie vielleicht begehrt hätten.
Als er an die fein gemeißelte Mauer herantrat, blickte er auf die Stadt, die hinter dem See am Fuße der Festung lag – der steile Abhang dorthin musste für ein geflügeltes Geschöpf, das nicht mehr auf dem Wind reiten durfte, eine schreckliche Folter gewesen sein. »Ich habe das Gerücht gehört, dass Neha Eris einst die Flügel gestutzt haben soll.« Trotz der Misshandlungen an Eris’ ganzem Körper waren die Flügel, die Jason soeben gesehen hatte, jedoch intakt gewesen.
»Ich war damals zu jung, um mich selbst daran erinnern zu können«, sagte Mahiya, die sich mit einer Hand an den Türpfosten stützte, »aber ich habe andere davon munkeln hören. Sie hat die Bestrafung allerdings nicht wiederholt, als die Flügel nachgewachsen waren … und ich glaube, sie hat bereut, es überhaupt getan zu haben.«
Liebe, dachte Jason, konnte die schwerwiegendste aller Schwächen sein.
»Es tut mir leid, dass ich dir Angst eingejagt habe, Jason. Ich wollte nicht so wütend werden.«
Während er über den Balkon schritt, sah er sich die Fenster an der Innenwand an, die aus jeweils zehn roten und grünen Buntglasstücken gestaltet waren. Die einzelnen Teile waren quadratisch, etwa so groß wie seine Handfläche, und wirkten neben dem Stein der Palastmauern zierlich. Dieses Glas fand sich auch in den geöffneten Türen zu einem Schlafzimmer wieder, das den größten Teil des ersten Stocks einzunehmen schien. Sanft
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