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Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)

Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)

Titel: Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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nicht ignorierte. »Ich habe noch eine andere Idee, der ich nachgehen möchte.«
    Eine Pause, gefolgt von einem leichten Nicken. Ihre Stimme war nicht mehr kühl, als sie sagte: »Ich werde auf deine Rückkehr warten.«
    Seltsam, was diese einfachen Worte in ihm anrichteten, als er vom Balkon abhob und hinauf in das diamantbesetzte Schwarz des Nachthimmels flog. Dort, wo er vor den Sternen nicht zu erkennen war, schwebte er und begann zu lauschen. Er konnte seine Gabe nicht auf Kommando herbeirufen, aber er konnte sich in genau den Geisteszustand versetzen, um sie zu aktivieren. Genau das tat er jetzt. Der unberechenbare Wind peitschte die Haarsträhnen in seinem Zopf und ließ den dünnen Leinenstoff seines Hemdes an seinem Körper kleben.
    Wenige Minuten später drang das erste Flüstern in seine Gedanken, tausend kleine Bruchstücke, die nichts bedeuteten. Geduldig ließ er sich von diesem Strom sensorischer Eindrücke umspielen. Dann fing er ein einzelnes Flüstern auf, weniger ein Wort als eine Empfindung. Er drehte sich in den Wind und flog über die Kämme, Berge und Täler hinweg. Dabei folgte er seinem Instinkt, der im Laufe seines beinahe siebenhundertjährigen Lebens aufs Schärfste geschliffen worden war.
    Es gab nichts Auffälliges an dem Tal, in dem sich die Spur verlor, dennoch landete er hier im Mondlicht, wie immer auf jene Heimlichkeit bedacht, die für ihn so selbstverständlich war wie Atmen. Eingehüllt in die Dunkelheit, gab das Land keine Geheimnisse preis … bis sich der Wind drehte.
    Staubiger Verfall, aber kein Verwesungsgeruch.
    Er fand heraus, woher dieser Windhauch kam, und folgte ihm bis zu einem großen Haufen grauer Steine; einige der Steinbrocken hatten die Größe von kleinen Wagen, und die Felswand dahinter verriet Jason ihren Ursprung. Doch inzwischen war so viel Zeit verstrichen, dass die zähen, an das Überleben in diesem rauen Klima angepassten Gräser bereits kniehoch um die Felsen herum wuchsen.
    Es war reiner Zufall, dachte er, dass die Leiche – oder das, was von ihr übrig war – in einer Felsspalte gelandet war, als man sie fallen gelassen hatte. Andernfalls wäre der lange Rock, der mit Hunderten winziger Spiegel besetzt war, im strahlenden Sonnenlicht das reinste Funkenfeuer gewesen. Aber so lag der mädchenhafte Rock im Schatten der Felsen, und die Leiche war größtenteils in einer Spalte zwischen zwei riesigen Gesteinsbrocken eingeklemmt.
    In der Zeit, die sie hier allein und vergessen gelegen hatte, war ihr Blut getrocknet und abgeblättert; ihr langes blondes Haar war trocken, und doch glänzte es merkwürdigerweise. Ihr Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Allerdings war durch die Kühle des Schattens zwischen den Felsen genug Gewebe von Gesicht und Körper erhalten worden, dass Jason auf schwere Verletzungen schließen konnte. Diese Wunden hätten von den Felsen stammen können, aber er hätte darauf gewettet, dass die Misshandlungen vor ihrem Tod stattgefunden hatten. Denn dieser Mord war, ebenso wie der Eris, ein Akt der Wut gewesen. Ein Akt der Raserei.
    Es war eine Tat von solcher Grausamkeit gewesen, dass weder die Verwesung noch die Kleintiere und Vögel, die auf Nahrungssuche gewesen waren, darüber hinwegtäuschen konnten, dass die Leiche über und über mit Stichwunden bedeckt war. Wo das Skelett den Elementen ausgesetzt gewesen war, konnte Jason die Kerben sehen, die das Messer in den Knochen hinterlassen hatte. Diese Zeichen abscheulicher Brutalität würden auch dann noch lange zu sehen sein, wenn die Maden die verbleibenden Reste ihres Körpers beseitigt haben würden.
    Offenbar war Audrey kein allzu starker Vampir gewesen, denn ihr Herz fehlte zwar – ihrem zersplitterten Brustkorb nach zu urteilen, war es mit brutaler Hand herausgerissen worden –, doch ihr Kopf saß noch auf dem Körper. Er war gebrochen und verletzt, und wo die Haut an ihrem Hals nicht ganz fehlte, hatte sie sich zu mumienartiger Trockenheit zusammengezogen. Aber soweit Jason es erkennen konnte, stammten diese Verletzungen von Vögeln und Nagetieren, die von ihr gefressen hatten, nicht etwa von einem Enthauptungsversuch.
    Von ihren Händen waren jetzt nur noch Knochen übrig, sodass er unmöglich feststellen konnte, ob sie an einem bestimmten Finger einen Ring getragen hatte, aber jetzt, da er ihren Namen kannte, war das leicht anhand eines Fotos nachzuprüfen. Er schritt das Gelände um die Leiche herum ab, fand jedoch nichts Bemerkenswertes mehr. Obwohl es gegen all seine

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