Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Bademantel ein Stück zur Seite und legte seine Hand auf die warme Innenseite ihres Schenkels. »Das hat keine Eile.« Zuerst hatte er etwas anderes geglaubt, hatte sie in die Unsterblichkeit drängen wollen, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Aber mit dem Morgen war die Erkenntnis gekommen, dass er seine Honor ebenso wenig zu etwas zwingen konnte, wie ihr wehzutun.
»Ich habe meine Entscheidung getroffen.« Ihr Ton rief ihm in Erinnerung, dass sie eine Jägerin war. Gestählt und kampferprobt.
»Diese Entscheidung ist unter dem Einfluss unseres Freudentaumels gefallen«, sagte er. Die Emotionen dieser Nacht waren in seinem Geist noch sehr lebendig. »Niemals würde ich versuchen, es dir auszureden« – er wollte tausend Lebensspannen mit ihr haben – »aber ich muss feststellen, dass ich gerade genug Tugend in mir habe, um dich nicht zu drängen.«
Seine Frau, deren Herz ihm gehörte, lächelte ihn an. Ein unbezahlbares Geschenk. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir hier sind.« Sie glitt auf seinen Schoß und ließ den Kopf an seine nackte Schulter sinken. »Die ganze Zeit erwarte ich, dass all das einfach verschwindet.«
»Das wird es nicht.« Es war ein Versprechen, und er würde Blut vergießen, um es zu halten. »Die Ewigkeit oder ein einziges sterbliches Leben – wir werden den Weg gemeinsam gehen.«
14
Nachdem er den Rest des Tages damit verbracht hatte, unbemerkt die Höflinge und Soldaten zu belauschen – Sterbliche und Vampire, junge und alte Engel –, flog Jason in den Mantel der Nacht gehüllt über die Festung. Er war sich über die Identität von Eris’ Mörder beinahe sicher, aber er benötigte noch zwei weitere Informationen – eine davon versuchte Mahiya gerade in den Burggräben von Nehas Hof zu bekommen.
Er rauschte in die Tiefe und landete in der Nähe des eleganten Hofgartens, in dem sich in dieser Nacht die Schönheiten versammelt hatten – angeblich, um ihren Kummer miteinander zu teilen. Dort tauchte er ein in eine Dunkelheit, die er als Landeplatz ausgewählt hatte. Auch wenn es anders lautende Gerüchte gab, konnte Jason keine Schatten aus der Luft erschaffen, aber er konnte die kleinsten Ranken der Dunkelheit ausweiten und verstärken, bis er von den meisten Leuten einfach nicht mehr bemerkt wurde. Bestenfalls nahm man ihn als geisterhaftes Bild aus den Augenwinkeln wahr.
Nicht immer hatte er sich in den Schatten der Dunkelheit so zu Hause gefühlt.
»Wie kann ich ein Nachtkundschafter sein, wenn ich Angst vor der Dunkelheit habe?« Seine Unterlippe zitterte, als er neben seiner Mutter herlief und ihr half, Schalentiere von einem Strand aufzusammeln, der einen halben Vormittag Flugzeit von ihrem Haus entfernt lag.
»Jeder hat Angst vor der Dunkelheit, wenn er klein ist.« Sie zog ihn zu einer Wasserlache, um ihm einen Einsiedlerkrebs zu zeigen, der mit seinem Haus auf dem Rücken umherkrabbelte. »Manchmal liebst du die Dunkelheit – zum Beispiel bei dem Nachtflug, den du mit deinem Vater unternommen hast.«
»Da leuchteten Sterne.« Sie hatten ihn an die funkelnden Juwelen erinnert, die seine Mutter trug, wenn Besuch kam. Schon lange hatte niemand sie mehr besucht, vielleicht weil sein Vater immer so zornig war. »Es war nicht richtig dunkel.«
Das amethystfarbene Kleid seiner Mutter flatterte im Wind. »Du siehst im Dunkeln jetzt schon besser als ich – vorgestern Abend hast du mir geholfen, meinen Ohrring zu finden, weißt du noch?«
Jason nickte. »Das war nicht schwer.« Die schwarze Perle mit dem hübschen blauen Schimmer hatte ihn in der Dunkelheit regelrecht angefunkelt.
»Für dich nicht, mein kluger Junge.« Mit einem Lachen, das auch ihn zum Lachen brachte, sagte sie. »Eines Tages wirst du so gut im Dunkeln sehen, dass es dir vorkommt wie am helllichten Tag. Dann wirst du dich im Dunkeln nie wieder fürchten.«
Seine Mutter hatte recht gehabt. Mit hundertfünfzig Jahren war seine Nachtsicht so weit entwickelt gewesen, dass er wie ein nachtaktives Raubtier sehen konnte. Die Dunkelheit war sein Zuhause geworden, und jetzt umhüllte er sich damit, während er Wache hielt.
Der Garten wurde vom flackernden Licht Hunderter Kerzen erhellt, von denen viele in bunten Glasbehältern standen und die Marmorgebäude am Rande des Innenhofs wie eine Traumlandschaft erscheinen ließen. Was die Personen anging – ihr Lachen war gedämpft und die Farben weniger leuchtend, als man sie sonst am Hof eines Erzengels erwartet hätte, aber das war das einzige
Weitere Kostenlose Bücher