Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Mund wird sie nicht hören.« Es waren gnadenlose Worte, die Jason da aussprach, aber er wusste, dass Mahiya bereits zu demselben Schluss gekommen war. »Stattdessen wird sie es als Vorwand benutzen, um dich zu töten.«
Mit ungerührter Miene aß Mahiya ein weiteres Stück Konfekt. »Sie braucht keinen Vorwand.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.« Wenn Neha Mahiya tötete, brachte sie ein Kind um, das unter ihrer Obhut aufgewachsen war, und bei den Engeln wurde die Bindung zwischen einem Kind und seinen Eltern oder seinem Vormund hoch geachtet. Wenn ein Vormund sein Kind tötete … dann brach er damit ein absolut grundlegendes Tabu, ein für alle Engel geltendes Gebot.
Jason wusste besser als jeder andere, dass solche Tabus gebrochen werden konnten, aber wenn das geschah, hatte es seinen Preis. »Wenn sie dich ohne triftigen Grund hinrichtet, obwohl sie offenbar geistig gesund ist, wird sie das unter ihresgleichen zu einer Ausgestoßenen machen.« Und Neha war ein soziales Wesen, das seine Kontakte überall auf der Welt sehr schätzte.
Während Mahiya an ihrem Tee nippte, der inzwischen lauwarm sein musste, sah sie Jason in die Augen. »Ich werde Stillschweigen bewahren, aber dein Ruf eilt dir voraus. Je mehr Tage ohne ein Ergebnis von dir vergehen, desto misstrauischer wird sie.«
Wie sich herausstellte, war die Suche nach einer Möglichkeit, Nehas Misstrauen zu besänftigen, Jasons geringstes Problem – denn die tiefroten Ströme gewaltsam vergossenen Blutes waren noch nicht versiegt.
Schock und Kummer verdunkelten Nehas Augen, als sie auf einer Dachterrasse gegenüber dem Juwelenpalast zu Jason trat, zu ihren Füßen lag eine zusammengekrümmte Tote, die man gerade gefunden hatte. Das schwache Licht kurz nach Sonnenaufgang tauchte die Szenerie in sanftes Gold und ließ sie wie ein makabres Gemälde erscheinen. Im Mittelpunkt dieses Gemäldes lag ein weiblicher Vampir in einem schwarzen Seidenpyjama, die Träger des Negligés waren zerrissen und entblößten schwere Brüste, die Haut war totengrau.
Die Beine der Frau waren verdreht und gebrochen, als wäre sie aus großer Höhe gefallen oder fallen gelassen worden. Aus ihrer Körperhaltung konnte man jedoch unmöglich schließen, ob sie aus dem Himmel oder von einem der kleinen Boden-Luft-Verteidigungstürme gefallen war, von denen die Festung umgeben war. Der nächste dieser Türme stand in passender Entfernung. Jason würde mit dem Wachposten sprechen, der in den Stunden vor Sonnenaufgang Dienst gehabt hatte, aber sein Instinkt sagte ihm, dass das Opfer den Turm nie betreten hatte und vielmehr ein Engel für seinen Sturz verantwortlich war.
Trotz der entblößten Brüste schien es kein sexueller Übergriff gewesen zu sein. Die Kleidung war höchstwahrscheinlich beim Kampf beschädigt worden. Anders als bei Audrey war der Kopf des Opfers nicht mehr mit dem Körper verbunden; er war zur Seite weggerollt und an einem der Absperrgitter liegen geblieben, an denen Jason gestern einige äußerst elegant gekleidete Frauen gesehen hatte. Sie hatten an der Absperrung gelehnt und gelacht, während sie auf den darunter liegenden Innenhof geblickt hatten. Heute waren die einzigen Geräusche die abgerissenen Schluchzer einer Frau, und in gerader Linie vor ihnen zeigten rostrote Spritzer an, wo der Kopf aufgekommen und entlang gerollt war.
Sie sah ihn von der anderen Seite des Zimmers an; ihre hübschen braunen Augen waren von einem weißen Film überzogen, der da nicht hingehörte. Ihr Kopf mit dem blutverkrusteten Halsstumpf stand aufrecht auf einem Tisch in der Ecke, als sei er genau zu diesem Zweck dort platziert worden.
Die Echos des Grauens, die durch die Zeit widerhallten, überraschten Jason nicht. Er verschloss die Erinnerung hinter Schutzschilden, für deren Errichtung er ein ganzes Leben lang Zeit gehabt hatte, und lenkte seinen Blick wieder auf das Opfer vor ihm, das diese Erde vor nicht langer Zeit verlassen hatte.
Die Brust der Frau war unbeschädigt geblieben, ihr Herz befand sich noch immer im Körper, aber eine Sache war bei dieser Leiche und der von Audrey identisch: Obwohl die durch den Sturz verursachten Quetschungen die meisten Wunden unkenntlich machten, konnte Jason erkennen, dass das Opfer vor seinem Tod mit erbarmungsloser Brutalität traktiert worden war. Als er die Tote umdrehte, um ihren Rücken zu betrachten, sah er, dass das Rückgrat herausgerissen worden war und gebrochen aus der blutverkrusteten Haut ragte. Mit behutsamen Händen
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