Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
das wusste Jason, konnte das Machtgefüge in einer bestimmten Konstellation verändern. »Repräsentieren sie verschiedene Gruppierungen am Hof?« Er sah die Frauen jetzt mit anderen Augen und sah Schmetterlinge aus Eisen, deren Flügelränder mit Rasierklingen aus Ehrgeiz und Gier bestückt waren.
»Nicht nur am Hof, sondern im ganzen Territorium.«
Also steckte hinter jeder einzelnen Dame ein Puppenspieler, der die Fäden zog und sie für seinen größtmöglichen Vorteil positionierte …, der sie die schmutzige Arbeit machen ließ.
»Im Augenblick verfügt Lisbeth über die größte Macht.« Mahiya deutete auf den Engel mit den dunklen Augen. »Sie ist sehr intelligent. Das sind sie alle.«
Er nickte zum Dank für die Warnung. »Ich gebe mir Mühe, nie einen Gegner zu unterschätzen, aber in diesem Fall habe ich es vielleicht getan.« Ebenso wie die anderen Frauen wirkte Lisbeth … oberflächlich. Ihre Kleider waren aus einem hauchdünnen Stoff, in dem sich der Wind fing, ihr glänzend braunes Haar hatte sie zu einer aufwendigen Lockenpracht hochgesteckt, juwelenbesetzte Kämmchen hielten die Strähnen, und ihr Gesicht war mit einer kunstvollen Zartheit geschminkt, die ihre dunkelhäutige Schönheit betonte. »Ich habe genug gesehen.«
»Soll ich für dich Gespräche mit den Hofdamen vereinbaren?«, fragte Mahiya, als sie sich wieder im Korridor befanden.
»Nein.« Er würde sie einzeln und allein zu finden wissen, wenn sie nicht damit rechneten, befragt zu werden. In diesem Moment wollte er die Antwort auf eine ganz andere Frage. »Deine Mithilfe geht inzwischen über den Rahmen deiner Verpflichtung hinaus.«
Ein oberflächliches, höfisches Lächeln – das er inzwischen verabscheute, denn als sie gestern Abend zugegeben hatte, auf ihn gewartet zu haben, da hatte er einen flüchtigen Blick auf ein echtes Lächeln erhaschen dürfen. »Du bist meine größte Hoffnung, dieser Hölle zu entkommen«, sagte sie halblaut.
Woraufhin er sich fragte, wie weit sie wohl gehen würde.
16
»Erzähl mir, wer von Shabnams Tod profitiert.«
Mahiya verspürte den plötzlichen, verzweifelten Drang zu schreien, als Jason mit seiner quälend klaren Stimme diese Worte aussprach. Sie hatte ihn bewusst mit ihrer süßlich giftigen Antwort geködert, weil sie eine Reaktion hervorrufen wollte. Sie wollte das obsidianschwarze Eis durchbrechen, das ihn umschloss und ihr das Gefühl gab, mit einem schwarzen Spiegel zu sprechen.
»Gibt es eine Dame, die ihre Position einnehmen will?«, fügte er hinzu, als sie stumm blieb.
»Es gibt immer welche, die das wollen.« Sie zwang ihre seltsam verrückten Gedanken unter Kontrolle, denn was ging es sie an, wenn Jason lieber einen Schritt von der Welt entfernt blieb? »Aber Neha wählt aus, wen sie will – eine Anwärterin könnte die gesamte Gruppe ermorden und würde trotzdem keinen Platz bekommen.« Als sie die Stufen hinaufstiegen, um dem Weg auf der oberen Terrasse zu folgen, hob sich ihr Schal im Wind und flatterte über Jasons Arm und seine Brust, ehe er wieder ordentlich an Mahiyas Seite herabfiel.
Ich bin eifersüchtig auf ein Stück Stoff. Wie töricht, da er mich nicht einmal wahrnimmt.
»Entschuldige.« Am Vorabend auf dem Balkon, als dieser todbringende Schatten von einem Mann sich offensichtlich bemüht hatte, ihre Gefühle nicht zu verletzen, hatte sich etwas verändert. Aus ihrer Faszination für ihn war etwas Zartes und sehr viel Gefährlicheres gewachsen. So wie er sie nach seiner Rückkehr angesehen hatte, war in ihr die Hoffnung erwacht … aber ganz eindeutig war da nicht mehr als stille Freundlichkeit gewesen.
Diese Erkenntnis machte ihr das Herz schwer.
»Du kannst den Wind nicht anleinen«, sagte er. Sein Blick war so undurchdringlich und tief, dass sie ihn nicht zu ergründen vermochte.
»Nein, wahrscheinlich nicht.« Sie löste den Blickkontakt, der ihr zu intensiv, zu stark, zu tiefgehend war. »Wenn es eine politisch motivierte Tat war, wäre es besser gewesen, Shabnam wäre einfach verschwunden.« Sie zwang sich zur Konzentration. »Durch den Mord ist es gut möglich, dass Neha Mitleid mit Shabnams Angehörigen und Vertrauten bekommt und die nächste Hofdame aus ihren Kreisen erwählt.«
»Könnte ihnen eine Gefälligkeit außer der Reihe zukommen?« Jasons Flügel war ihr so nah, dass sie die feinen schwarzen Fasern sehen konnte, aus denen jede einzelne der mitternachtsfarbenen Federn bestand.
Ihre Fingerspitzen bohrten sich in ihre Handflächen.
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