Gildenhaus Thendara - 7
kurzatmig. Als ich heranwuchs und sich herausstellte, daß ich kein Ohr für Musik habe, fürchtete ich, Rafi werde mich verstoßen. Sie hat…” Im unteren Teil des Hauses begann eine Glocke zu läuten, und Doria unterbrach sich.
„O gnädige Göttin!”
„Was ist das, Doria? Doch nicht schon die Essensglocke?”
„Nein”, flüsterte Doria. „Diese Glocke wird nur geläutet, wenn eine Frau bei uns Zuflucht sucht. Manchmal hören wir sie keine zwei Mal im Jahr, und jetzt haben wir an ein und demselben Tag zwei Neuankömmlinge? Komm, wir müssen sofort nach unten gehen!”
Sie zog Magda hastig auf die Treppe zu, und sie eilten die Stufen hinunter. Magda spürte dieses merkwürdige leichte Prickeln, das sie als Vorahnung kennengelernt hatte: Das ist etwas für mich sehr Wichtiges… Doch sie schob es als Nervosität aufgrund von Dorias
Aufregung und dem vielen Neuen, das ihr begegnete, beiseite. In der Eingangshalle standen Irmelin und Mutter Lauria und zwischen ihnen eine schwächlich wirkende Frau, die in schwere Schals und Röcke eingebündelt war. Sie schwankte und hielt sich am Geländer fest, als werde sie gleich in Ohnmacht fallen.
Mutter Lauria hielt schnelle Umschau unter den Frauen, die sich in der Halle versammelten. Viele von ihnen hatte Magda gestern beim Essen gesehen, aber sie kannte ihre Namen nicht. Dann wandte sie sich der halb bewußtlosen Fremden zu. „Was suchst du hier?” Für Magda hatten die Worte die Macht eines Rituals. „Bist du gekommen, um hier Zuflucht zu finden?”
Die Frau flüsterte schwach: „Ja”
„Willst du nur ein Obdach, meine Schwester? Oder ist es dein Wille, den Eid einer Entsagenden abzulegen?”
„Den Eid .. ” hauchte die Frau. Sie schwankte, und Mutter Lauria bedeutete ihr, sich hinzusetzen.
„Du bist krank; du brauchst im Augenblick keine Fragen zu beantworten, meine Schwester” Mutter Lauria richtete den Blick auf Magda und Doria, die am Fuß der Treppe standen.
„Ihr beiden seid neu bei uns; ihr drei werdet in der Ausbildung zusammen sein, sollte diese Frau den Eid ablegen. Deshalb wähle ich euch als ihre Eidesschwestern und dazu .. ” Sie sah sich um. Offensichtlich suchte sie nach jemandem. Schließlich winkte sie.
„Camilla n’ha Kyria”, sagte sie, und Magda erkannte mit einem Gefühl der Unausweichlichkeit die große, dünne emmasca, die Zeugin ihres eigenen Eides gewesen war. „Camilla, ihr drei bringt sie weg, schneidet ihr das Haar und bereitet sie darauf vor, den Eid zu leisten, sofern sie dazu fähig ist”
Camilla kam und legte einen Arm um die taumelnde Fremde. „Komm, stütze dich auf mich!’ Sie benützte die unpersönliche Form, aber ihre Stimme klang freundlich. Plötzlich entdeckte sie Magda, und ihr Gesicht leuchtete auf. „Margali! Eidesschwester, bist du das? Ich dachte, du seiest nach Neskaya gegangen! Du mußt mir alles darüber erzählen, aber später, denn zuerst müssen wir dieser Frau helfen. Schiebe deinen Arm unter ihre Arme… so… sie kann nicht gehen .. “
Magda umfaßte die offensichtlich beinahe zusammenbrechende Frau, aber diese zuckte vor der Berührung zurück und schrie mit
schwacher Stimme auf. Camilla führte sie in ein Kämmerchen neben Mutter Laurias Büro und drückte sie in einen weichen Sessel.
„Bist du mißhandelt worden?” fragte sie, nahm ihr den Schal ab und gab einen Laut des Entsetzens von sich.
Das Kleid der Frau - von teurem Zuschnitt, aus erstklassig gefärbtem Wollstoff und mit Pelz besetzt - hing in Fetzen und war blutdurchtränkt. Das Tuch hatte sich in schwarze Klumpen verwandelt, durch die immer noch rotes Blut sickerte.
Camilla flüsterte: „Avarra schütze uns! Wer hat dir das angetan?” Doch sie wartete nicht auf eine Antwort. „Doria, lauf in die Küche, hole Wein und heißes Wasser und frische Handtücher! Dann sieh nach, ob Marisela im Haus ist oder ob sie irgendwo in der Stadt einem Kind auf die Welt hilft. Margali, komm her, hilf mir, ihr das auszuziehen!”
Gemeinsam zogen sie ihr die zerfetzten Sachen aus. Jacke, Kleid, Unterwäsche, alles war elegant und mit Kupferfäden bestickt. In ihrem hellen Haar trug die Frau eine teure Schmetterlingsspange aus KupferFiligran. Magda leistete Hilfestellung und reichte Camilla, was sie brauchte. Camilla entblößte die Frau bis zur Taille und wusch die schrecklichen Schnittwunden. Was konnte sie nur verursacht haben? Die Frau ließ sich alles gefallen, ohne zu schreien, aber es mußte ihr furchtbar weh tun. Als sie fertig waren, zog
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