Gildenhaus Thendara
Gallionsfigur ohne Macht war. So hatte es der Comyn-Rat in der Vergangenheit mit verschiedenen Königen gemacht, und Jaelle vermutete, daß es auch Dom Gabriels Schicksal gewesen war. Jeder wußte, daß Rohana viele Jahre lang die wirkliche Macht der Domäne Ardais verkörpert hatte.
Peter lenkte ihren Blick auf die Einladung. „Sieh her, wir sind namentlich aufgeführt…” Er zeigte auf die Stelle. „Mr. und Mrs. Peter Haldane…!’ Men diapre’zhiuro… daß ich nie mehr den Namen eines Mannes führen will, sei er Vater, Vormund, Liebhaber oder Gatte,.. Jaelles Stimme klang gefährlich ruhig. „Peter, ich bin nicht Mrs. Peter Haldane. Ich bin Jaelle n’ha Melora. Das werde ich dir nicht noch einmal sagen”
Er zuckte zusammen. „Ich weiß, Schatz. Aber die Terraner verstehen das nicht, und was kommt es darauf an, wie sie dich nennen? Es ist eine Formalität, mehr nicht. Wahrscheinlich haben sie deinen Namen auf der Gehaltsliste nachgesehen - mach doch nicht mich dafür verantwortlich”, protestierte er.
Sie ließ das Blatt Papier mit einem merkwürdigen Gefühl von Endgültigkeit fallen. Ich habe meine Identität verloren. Ich bin nicht mehr Jaelle n’ha Melora. Ich bin nicht einmal mehr Jaelle, Jalaks Tochter. Ich bin nur noch ein Anhängsel von Peter Haldane, seine Frau, die Mutter seines Kindes… Ich bin hier niemand. Peter hat recht. Es kommt nicht darauf an. Peter atmete auf. „Ich wußte doch, daß du vernünftig sein würdest. Braves Mädchen!” Jaelle hörte seinen unausgesprochenen Gedanken: Ich wußte, daß du es von meinem Standpunkt sehen wür
dest. „Was wirst du anziehen? In Uniform oder in Amazonenhosen kannst du nicht gehen…”
„Ich habe doch das grüne Kleid, das Rohana mir zu Mittwinter geschenkt hat” Jaelle versuchte, sich die Erregung ihres ersten Tanzes mit Peter ins Gedächtnis zurückzurufen. Er jedoch erinnerte sich gar nicht mehr daran und schüttelte nur den Kopf. „Das haben die Leute schon gesehen. Heute abend mußt du etwas Neues und Besonderes tragen!”
„Daheim im Gildenhaus habe ich Kleider, nur passen mir meine eigenen im Augenblick nicht” Sie warf einen trübseligen Blick auf ihre dicker werdende Taille. „Aber Rafaella und ich haben uns immer gegenseitig Kleider geliehen, und sie ist schwerer als ich. Ihre Sachen werden jetzt genau richtig für meine Figur sein, und sie wird mir gern ein Kleid geben” Wie hatte sie Rafaella aufgezogen, als ihre Taille stärker wurde und sie in Jaelles Kleider nicht mehr hineinkam!
„Ich kann nicht zulassen, daß du dir die getragenen Kleider von jemand anders ausleihst!”
„Piedro, sei nicht albern, wozu sind Schwestern denn da?”
„Meine Frau hat es nicht nötig, sich Kleider zu borgen oder ein altes, abgetragenes Kleid anzuziehen!”
„Piedro”, wandte Jaelle vernünftig ein, „Rafaella zieht sich sehr gut an, sie trägt ein Festkleid nie öfter als ein- oder zweimal, und hier hat noch niemand eins von ihnen gesehen, sie könnten ebenso gut neu sein” Wieder kam es ihr vor, als bestehe Piedro aus zwei Männern, aus ihrem Liebhaber und diesem verrückten Terraner mit seinen absurden Vorurteilen und Einbildungen, der zwischen ihr und ihrem geliebten Piedro stand. „Denke einmal nach, Piedro. Wo in Thendara finden wir eine Schneiderin, die mir noch am Festtag ein Kleid nähen würde? Es muß entweder mein altes grünes sein - obwohl ich ein Kleid, das ich nur einmal getragen habe, nicht alt nennen würde -, oder ich muß mir eins von Rafaella leihen - oder”, schloß sie lachend, „in meinen alten Hosen gehen. Eine andere Wahl gibt es nicht”
»Daran habe ich nicht gedacht. Ja, die Zeit ist wirklich knapp” Peter runzelte die Stirn. Dann leuchteten seine Augen auf. „Ich weiß! Wir gehen zur Kostümabteilung. Hier ist kein Feiertag. Gib mir das grüne Kleid - wir lassen es in einer anderen Farbe kopieren. Magst du Blau?”
Das nahm den Rest des Tages in Anspruch. Es blieb ihnen kaum ein Augenblick, eine Kleinigkeit zu essen, bevor sie sich umziehen mußten. Jaelle dachte bei sich, immer müsse sie hetzen, ob es ums Essen, um Guten-Tag-auf-Wiedersehen, eine Dusche, ein Blatt Papier mit einer wichtigen Nachricht, ein Kleidungsstück oder eine Minute für die Liebe ging. Allmählich bekam sie es herzlich satt, aber gerade heute durfte sie nicht zu spät kommen. Als ein Bote das Kleid, sorgfältig in Plastikfolie verpackt, ablieferte, ging es um Sekunden, und Jaelle bürstete gerade mit einem sehnsüchtigen
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