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Gilgamesch - Der Untergang

Gilgamesch - Der Untergang

Titel: Gilgamesch - Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Geist
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hingen.
    Dass darin etwas zutiefst Verabscheuungswürdiges steckte, das direkt in die Hölle führen musste, hatte das christliche Abendland bereits mit dem Aufkeimen der Geldwirtschaft erkannt und deshalb das Verleihen von Geld gegen Zinsen bei Strafe verboten. Lediglich bei einer Gruppe sozialer Randgestalten sah man großzügig darüber hinweg, da auf sie ohnehin die ewige Verdammnis wartete:
    bei den Juden, die damit den Hass aller anderen regelmäßig auf sich zogen.
    Der nächste Schritt in Richtung Abgrund war die Frage, warum man Geld über Arbeit oder Zinsen verdienen sollte, wenn man es drucken konnte? Warum sollte man es am Ende gar drucken, wenn es sich als sinnfreie Zahl auf ein virtuelles Konto in das Datennetz der Welt buchen ließ?
    Das war die Gruppe der einen Verrückten, die ungeheuren Reichtum angehäuft hatten, wenigstens auf dem Papier, und jetzt bereits begannen, dieses Papier in Gold, Schmuck, Immobilien, Yachten und Inseln einzutauschen, auf denen sie sich verbarrikadieren könnten, wenn die andere Gruppe Verrückter ihrer Empörung Luft machen würde, sobald sie merkten, dass sie nichts mehr hatten.
    Diese andere Gruppe waren diejenigen, die hoch verschuldet ein ahnungsloses Leben auf Pump lebten.
    Besonders in den USA besaß der Durchschnittsbürger zehn Kreditkarten und vergaß gerne, was in diesem Begriff bereits impliziert war. Credere hieß glauben und diese Plastikkarten hatten ihre Daseinsberechtigung nur in Verbindung mit dem Glauben der Gläubiger, also der Banken, dass ihre Besitzer die Schulden, die sie damit anhäuften, auch irgendwann zurückzahlen könnten.
    Davon waren die meisten Amerikaner inzwischen weit entfernt, und warum sollten sie es anders machen als ihre Regierung. Die warf ihrerseits Treasury Bonds auf die Märkte, die Staaten und Privatleute kauften in der unbegründeten Hoffnung, dass sie ihr Geld auch wieder bekommen müssten, weil ein Staat doch nicht Pleite gehen könne.
    Diese Annahme stimmte insofern, als die Staaten längst pleite waren, doch anders als bei Privatleuten wurde hier großzügig über die verschleppte Insolvenz hinweggesehen. Martin sah die Zahlen vor sich und fand sich damit ab, dass er keinen Ausweg aus diesem Schlamassel sah, ohne Gewalt, Krieg, Chaos und Anarchie.
    Die Superreichen würden überleben, da hegte er keinen Zweifel, doch ihm und dem ehrlichen, kleinen Mann von nebenan war die Rolle des Bauernopfers in diesem Spiel zugedacht. Das ganze Lügengebäude würde in Kürze zusammenbrechen, und deshalb hatte auch er vor über einem Jahr angefangen sein Papiergeld in etwas zu tauschen, das er anfassen konnte und das seinen Wert, wie in den vergangenen Jahrtausenden bewahren sollte:
    Edelmetalle. Natürlich ging auch all das, was man immer brauchte. Das schuldenfreie Dach über dem Kopf, Nahrungsmittel, Kleidung, eben Dinge, die den Grundbedürfnissen jedes Menschen entsprachen. Martin hatte noch etwas, das in der Zeit des Chaos seinen Wert beweisen würde und ihm einen Schauer über den Rücken jagte, wenn er es berührte: Eine P08-Parabellum .
    Diese deutsche Handfeuerwaffe hatte ihn schon als Kind fasziniert. Es war vor allem der Name, der eine Haltung des Besitzers einforderte, mit der er sich identifizierte.
    Si vis pacem para bellum war einst der Leitspruch der deutschen Waffen- und Munitionsfabrik gewesen.
    Wenn Du Frieden willst, bereite Dich auf den Krieg vor, entsprach der heroischen Offiziershaltung, die er bei seinem von zwei Weltkriegen geprägten Großvater immer bewundert hatte.
    Er saß als Kind auf seinem Schoß und fühlte den kühlen Stahl dieser Pistole, von der Opa stolz erzählte, er habe mit ihr fünf Franzosen im Nahkampf vor Verdun niedergestreckt. Als er sich die Pistole, kurz bevor die ewige Dunkelheit einer fortschreitenden Demenz ihn daran hinderte, in den Mund steckte und mit einem Lächeln in der Gegenwart seines Enkels abdrückte, wusste Martin instinktiv, dass es kein Heldentum ohne eine Neun-Millimeter-Parabellum gab, und diese Erkenntnis brannte sich in das kindliche Gemüt ein wie die Schmauchspuren in das Zahnfleisch des leblosen Greises.
    Er hatte damals nur zum Teil begriffen, was passiert war, denn der Schock und das Knalltrauma des Schusses bewahrten sein kindliches Gemüt vor dem Schaden, den die grauenvolle Szene sonst anrichten hätte können. Er sah seinem Großvater in die toten Augen, die an die Decke gerichtet waren, nahm ihm die Waffe aus der schlaffen Hand und verließ stumm die Wohnung.

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