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Gilgamesch - Der Untergang

Gilgamesch - Der Untergang

Titel: Gilgamesch - Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Geist
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kubanischen Großmutter besaß, die ihr Elternhaus mit fünfzehn Jahren für immer verlassen hatte, um als Wahrsagerin mit einem Zirkus durch die Dörfer der Insel zu ziehen.
    Klara hatte ihre ungewöhnliche Sensibilität geerbt, sodass sie schnell erkannte, dass ihre Eltern nach außen hin eine harmonische Beziehung vortäuschten, im Grunde aber in dauernder Anspannung lebten.
    Sie litt mehr darunter, als ihre Eltern ahnten, denn sie hatten sich nie die Mühe gemacht, ihre Nöte und Bedürfnisse zu verstehen, aber das war ja typisch für Eltern.
    Klara hatte sich in ihren Tagträumen schon oft vorgestellt, wie es wäre von zu Hause aus zu reißen, und als Wahrsagerin zu leben wie ihre Großmutter. Als sie Onkel Paul vom Kindergarten abgeholt hatte, ihr die Möglichkeit bot ein tolles Abenteuer zu erleben und von zu Hause weg zu kommen, hatte sie nicht lange gezögert und war in das große, dunkle Auto eingestiegen.
    Mama hatte mit ihr telefoniert und gesagt, dass es schon in Ordnung sei, wenn sie am Anfang der Weihnachtsferien noch ein paar Tage bei Onkel Paul bliebe. Jetzt wurde es allmählich langweilig, und sie wollte zurück in ihr Zimmer und zu ihren Freundinnen. Onkel Paul war inzwischen auch nicht mehr so nett wie am Anfang, und eigentlich hatte sie die ganzen Spielsachen und die vielen Tanten, die sich andauernd um sie kümmerten, satt.
    Das Haus kam ihr wie ein Gefängnis vor und irgendwie spürte sie, dass es nichts anderes war. Sie würde weglaufen, doch wie sollte sie nach Hause finden? Als sie in den Wagen von Onkel Paul gestiegen war, hatte sie nach vorne auf die Uhr am Armaturenbrett geschaut. Sie konnte bereits gut die Uhr lesen, obwohl sie in zwei Monaten erst sechs Jahre alt würde. Weil sie auch etwas klein geraten war für ihr Alter hatte niemand gesehen, dass sie immer wieder nach vorne schielte auf das weiße Ziffernblatt mit den drei silbernen Zeigern. Sie hatte nachgerechnet und wusste, dass die Fahrt ungefähr zwei Stunden gedauert hatte, bevor sie in den Garten eines riesigen Hauses rollten, und sich ein großes Eisentor hinter ihnen schloss.
    Wenn sie zu Tante Julia nach Frankfurt fuhren, dauerte es ungefähr genau so lange, also waren sie wahrscheinlich in Frankfurt. Sie grübelte eine Zeit lang, dann ließ sie mutlos die Schultern sinken. Wahrscheinlich gab es viele Orte in Deutschland, die zwei Stunden von Calw entfernt waren.
    War sie überhaupt noch in Deutschland? Sie erschrak. Papa hatte einmal gesagt, dass sie schneller in Frankreich wären als in Frankfurt, und hatte gelacht. Vielleicht war es nur ein Scherz gewesen, aber bei Papa wusste man nie. Wenn sie in Frankreich wäre, konnte sie überhaupt nicht nach Hause, denn da gab es eine Grenze und Polizisten, die kleine Kinder aufgabelten und wieder dahin zurück brachten, wo sie hergekommen waren.
    „Ich bin aber nicht in Frankreich“, dachte sie trotzig.
    Alle Tanten um sie herum sprachen ihre Sprache, und die Frankreichleute sprachen Englisch oder so.
    Sie hatte eine Idee. Wenn sie den Tanten irgendwie heimlich aus der Nase ziehen könnte, wo sie war, dann konnte sie auch herausbekommen, in welche Richtung sie nach Hause laufen müsste.
    Dann hatte sie einen noch viel besseren Plan. Sie könnte abhauen und draußen einfach nach dem Bahnhof fragen und dann einen Zug nach Calw nehmen, oder noch besser ein Taxi. Da brauchte man keine Fahrkarte, und sie würde dem Taximann einfach sagen, dass Papa bezahlt, wenn er sie daheim abgeliefert hätte.
    Sie war ganz aufgeregt und errötete, als sie bemerkte, dass sie Tante Frieda, die immer am Nachmittag bei ihr war, aufmerksam beobachtete. Sie durfte sich nicht verraten und log: „Ich habe gerade an meinen Geburtstag gedacht. Das ist immer der aufregendste Tag im ganzen Jahr“.
    Tante Frieda genügte die Erklärung, und sie widmete sich wieder ihrem Strickzeug, mit dem sie einen hässlichen Pulli aus Kratzewolle machte, ohne dass sie wirklich vorwärtskam. Tante Frieda brachte sie immer gegen später auf den Spielplatz, auf dem sie alleine spielen musste, weil es keine anderen Kinder gab. Einmal war ein Junge mit seiner Mama da gewesen, aber als sie Tante Frieda gesehen hatten, schienen sie Angst zu haben und waren schnell wieder verschwunden.
    Inzwischen hatte Klara auch ein bisschen Angst vor Tante Frieda. Sie hatte so ein Lächeln, das sie an ein Bilderbuch erinnerte, in dem ein Riese kleine Kinder fraß und auch so lächelte.
    Tante Frieda war aber kein Riese und sehr stark sah sie

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