Gilgamesch - Der Untergang
bewaffnet vor Jahren einmal durch die über einen Kilometer lange Röhre gelaufen. Die Mädchen hatten sich gegenseitig Angst eingejagt und kreischten fast die ganze Zeit über, bis sie die historische Haltestelle Fuchsklinge im Wald vor Hirsau erreichten.
In der Mitte der Röhre gab es eine Stelle, von der man damals weder zur einen noch zur anderen Seite Licht sah, obwohl es ein heller Sommertag war.
Das musste es sein. Die Saturnbrüder hatten ein Stück mit Gittern abgetrennt und hielten sie dort gefangen. Da in der Nähe niemand wohnte, und der Tunnel von beiden Seiten inzwischen wegen Einsturzgefahr gesperrt war, würde es keinen Sinn machen, um Hilfe zu rufen.
Warum waren sie hierher gebracht worden? Christophers Mut sank. Wenn Herbert keinen gewaltigen Saitenschneider aus seiner Hose zauberte, gab es kein Entrinnen.
Herbert stöhnte und einen Augenblick später krächzte er mit belegter Stimme: „Ist da wer?“
„Ich bins, Christopher. Wie fühlst Du Dich?“
„Mein Kopf dröhnt, als wäre ich mit einer Dampflok kollidiert.“
„Wenn Du wüsstest, wie dicht Du an der Wahrheit bist. Wir liegen hier zwischen den Gleisen der Schwarzwaldbahn im stillgelegten Tunnel vor Hirsau“, erklärte Christopher. Herbert rappelte sich auf, schwankte und hielt sich den Kopf. Dann war der Schwindel vorbei und er fragte:
„Gibt es hier einen Ausgang?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte er sich die Taschenlampe und leuchtete die Wände des Tunnels ab. Er überquerte die Gleise, und auf der gegenüberliegenden Seite blieb der Lichtkegel der Lampe lange Zeit auf eine Stelle gerichtet. Christopher gesellte sich neugierig zu ihm.
„Siehst Du das auch?“ Herbert leuchtet einen Teil der gewölbten Wand ab und Christopher sah, was er meinte. Da war eine gut getarnte Türe. Ungefähr drei Mal sechs Meter der Tunnelröhre waren zwar in den gleichen Natursteinen, die Farbe schien aber eine Nuance heller zu sein. Christopher klopfte dagegen. Es klang nicht nach Stein und war auch weicher.
„Kunststoff?“, fragte Herbert.
„Sieht so aus“, erwiderte Christopher.
„Wenn die beiden Gitter entfernt werden, würde kein Mensch hier genau hinschauen und die Türe entdecken. Wo mag sie hinführen?“
Wie als Antwort auf seine Frage fiel Licht durch einen schmalen Spalt. Sekunden später ertönte das Summen eines Elektromotors und das Tor schwang nahezu geräuschlos nach innen. Sie kniffen geblendet die Augen zusammen. Mit dem Rücken zur Lichtquelle stand ein großer, sehr kräftiger Mann, dessen Gesicht nicht zu erkennen war.
„So schnell wollten Sie mich wahrscheinlich nicht wieder sehen“. Seine Stimme klang heißer und brüchig, doch es war unverkennbar die von Max. In seiner rechten Hand hielt er lässig die Waffe, die Christopher bereits einmal bei ihm gesehen hatte.
„Was haben Sie mit uns vor?“, fragte Christopher mit einer Stimme, die bei Weitem nicht so fest klang, wie er es sich gewünscht hätte.
„Alles zu seiner Zeit“. Er winkte mit der Pistole an sich vorbei in den Gang, der weit in den Berg zu führen schien und mit nackten Glühbirnen in großen Abständen notdürftig beleuchtet wurde. Sie kamen seiner überzeugenden Aufforderung nach und gingen schweigend vor ihm her durch ein Labyrinth von Gängen und Abzweigungen, die an ein altes Bergwerk erinnerten.
Wenn er sie hier erschoss, würde nie jemand ihre Leichen finden.
Christophers Füße waren schwer wie Blei. Doch da war noch etwas anderes. Es war Neugier, die den natürlichen Instinkt wegzulaufen unterdrückte. Es fühlte sich an wie zu viel Koffein im Blut. Eine innere Ungeduld wollte weiter, sehen was um die nächste Ecke lag und die Puzzlesteinchen endlich zu einem Bild zusammensetzen.
Am Ende des Ganges schien ein Raum zu liegen, aus dem der rötliche Schein flackernder Kerzen drang. Als sie dort angelangt waren, öffnete sich vor ihnen eine riesige Halle, deren Wände und Decke so weit entfernt waren, dass sie sich in der spärlichen Beleuchtung irgendwo im Nichts verloren.
Herbert und Christopher blickten nach oben, und der Mund blieb ihnen offen stehen.
Ein gewaltiges, hölzernes Kreuz hing über ihnen an einem Seil, das in der Dunkelheit darüber verschwand. An den vier Enden und dem Schnittpunkt der Balken war es mit fünf Rosenblüten verziert, die an die fünf Elemente des Altertums oder auch der Rosenkreuzer erinnerten, zu denen neben den vier Elementen Erde, Feuer, Luft und Wasser die geheimnisvolle Quintessenz
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