Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02
höher und höher stieg. Ich sehne mich nach dir ... Ich sehne mich nach deiner Berührung ... Du wählst einen anderen ...
»Nein, ich will nur dich, Sebastian«, schluchzte ich leise. »Ich wollte immer nur dich.«
Sebastian war ganz in der Nähe; dessen war ich mir sicher. Dies war sein Zuhause gewesen, und jetzt war es vielleicht sein Versteck. Ich hätte mich glatt in den Hintern beißen können, dass ich nicht eher hergekommen war, um nach ihm zu suchen, und lief wie verrückt von einem Zimmer zum anderen, riss Türen auf, die kurz den Blick auf leere, elegante Schlafzimmer freigaben. »Wo bist du? Wo bist du?«, rief ich verzweifelt. Aber das Haus weigerte sich, seine Geheimnisse preiszugeben. Es war altmodisch und unbelebt und tot, ein Museum, kein Zuhause. Und ohne jeden Hinweis auf irgendwelche Bewohner, vergangene oder gegenwärtige.
»Es nützt nichts«, sagte ich und ließ mich müde auf einen niedrigen Stuhl fallen. »Er ist nicht hier.«
Und dann hörten wir es: ein leises Geräusch, als ob sich irgendetwas … bewegen würde. Es kam von irgendwo über unseren Köpfen.
»Was ist das?«, fragte Helen und sah alarmiert hoch.
Wir erstarrten. Alles war still. Doch dann war wieder das leise, gedämpfte Geräusch zu hören.
»Es kommt von da oben«, murmelte Sarah.
»Ich gehe nachsehen.«
»Nein, Evie, warte!«
Aber ich hörte nicht auf sie. Ich hatte keine Angst mehr. Am Ende des breiten Treppenabsatzes waren weitere Stufen, die sich nach oben schraubten. Ich lief sie hoch, und unter meinen Rippen schien irgendeine unerklärliche Freude zu pulsieren. Oben angekommen sah ich, dass ich das Stockwerk der Bediensteten erreicht hatte. Ein schlichter Korridor verlief der Länge nach durch das Haus, in regelmäßigen Abständen von niedrigen Türen gesäumt.
Die erste Tür, die ich aufmachte, führte zu einem kahlen Zimmer mit schrägen Wänden; das einzige Mobiliar bestand aus einem eisernen Bett und einem Gestell mit einer schlichten, weißen Kanne. Der Strahl der Taschenlampe fiel auf die Inschrift an der Wand: Typisches Zimmer einer Zofe, etwa 1875. Wieder eine Sackgasse.
Ich marschierte zur nächsten Tür und riss sie auf. Hier waren alte Fotos der Hall und ihrer vielen Bediensteten ausgestellt. Annie May, Wäscherin, 1895 – 1914; John Hall, Diener, 1906 – 1925 … Die nächsten paar Türen waren abgeschlossen. Ungeduldig rannte ich zur letzten. Als ich den Knauf drehte, schoss ein Kribbeln meinen Arm hoch wie ein Stromstoß. Ich konnte mein Herz pochen hören —
und da war es plötzlich wieder, dieses andere Geräusch, dieses Echo eines unterdrückten Stöhnens. Ich drückte die Tür auf und richtete den Lichtstrahl der Taschenlampe in den Raum.
Er war vollständig leer, bis auf eines.
Siebenundzwanzig
I ch bückte mich und hob den runden, silbernen Gegenstand auf, der glänzend auf dem ansonsten staubigen Boden lag. Er fühlte sich glatt und kühl an, und ich wusste sofort, was es war: eine altmodische Taschenuhr an einer angelaufenen Kette. Ich drückte seitlich gegen das Gehäuse, und die Klappe sprang auf. Auf ihrer Innenseite waren die Initialen S.J.F. eingraviert, und ein Datum: 1883. Die Uhr war ein Geschenk zu Sebastians achtzehntem Geburtstag gewesen. Ich hielt tatsächlich etwas in der Hand, das er in der Hand gehalten hatte. Ich hätte am liebsten gesungen und getanzt.
Dann erklang wieder die Stimme in meinem Kopf. Erinnere dich an Sebastian James Fairfax ... Erinnere dich an ihn ...
»Was ist? Was hast du gefunden?« Sarah und Helen drängten sich hinter mir in das kleine Zimmer, und ich zeigte ihnen die alte Uhr und die Inschrift.
»Wir sind dicht dran«, sagte ich. »Er ist hier irgendwo ganz in der Nähe.«
Sarah begann, den leeren Raum zu untersuchen, verfolgte irgendwelche Spuren im Staub auf dem Boden. Dann legte sie die Hände an die Wände, tastete die Ecken ab. Ihre Finger fanden ein Astloch im Holz der Täfelung.
Sie drückte etwas kräftiger dagegen, und eine Tür öffnete sich und gab den Blick auf verzogene Stufen frei, die zum Dachgesims hinaufführten.
Ohne nachzudenken rannte ich die Stufen bis zu einem zerfetzten Samtvorhang hoch, der vor einem Torbogen hing. Ich riss ihn zur Seite und fand mich in einer niedrigen Kammer wieder, in der ein gewaltiges Durcheinander herrschte; Krüge standen herum, und überall lagen Pergamentrollen und seltsame Messinginstrumente und stapelweise staubige Bücher. Es war wie Agnes’ geheimes Studierzimmer, nur gab es
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