Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02
mit spindeldürren vergoldeten Beinen. Fairfax Hall. Ich konnte es immer noch nicht so recht fassen. Eben war ich noch im Stallhof gewesen, und jetzt befand ich mich tatsächlich in der Hall , in Sebastians früherem Zuhause.
Helen winkte uns, und wir verließen das Wohnzimmer und fanden uns in einem dunklen Korridor wieder.
»Wenn uns jemand findet, sitzen wir ziemlich in der Patsche«, sagte Sarah. »Ich bin noch nie in ein Museum eingebrochen.«
»Wir können jetzt nicht umkehren«, sagte Helen. »Folgt mir.«
»Wohin gehen wir, Helen?«, fragte ich und versuchte, ruhig zu klingen.
»Miss Scratton hat mir erzählt, dass das Haus genauso aufgebaut ist wie damals, als Sebastians Familie hier gelebt hat. Und es gibt eine Bibliothek mit unzähligen alten Büchern. Ich finde es naheliegend, dort mit der Suche anzufangen. Weißt du, wie das Buch aussieht, Evie?«
»Ich weiß nur, dass Agnes es von Sebastian bekommen hat, nachdem der es auf einem Basar in Marokko gefunden hat. In ihrem Tagebuch beschreibt sie es als alt und schäbig, mit einem grünen Ledereinband.«
»Dann kommt«, sagte Helen. »Suchen wir die Bibliothek. «
Wir folgten Helen tiefer in das Haus hinein. Die Taschenlampe warf helle Schlaglichter auf geisterhaft weiße Statuen und goldgerahmte Gemälde. Ich hatte das Gefühl, als wäre die Dunkelheit lebendig, als könnten die Wände sehen, wie wir vorbeigingen. Hier hat Sebastian gelebt, sagte ich mir immer wieder; er hat diese Bilder gekannt; er ist diese Flure entlanggegangen; er ist als Kind zwischen diesen Zimmern hin und her gelaufen. Diese teuren, uralten Möbel waren ihm so vertraut wie mir mein schlichtes Bauernhäuschen. Während ich wie eine Diebin die Gänge entlangschlich, fühlte ich mich tatsächlich glücklich. Ich war in Sebastians Zuhause. In diesem einen Moment war das genug. Dann war mir, als könnte ich eine Stimme in dem stillen Haus hören. Du wirst müde, Evie ... Der Weg ist zu beschwerlich . . . Da ist jemand anderes . . .
Ich drehte mich verblüfft um, aber Sarah drängte mich weiter, und Helen schob irgendeine Doppeltür auf.
»Wow«, sagte Sarah atemlos. »Seht euch das an.«
Wir starrten in einen riesigen, gewölbeartigen Raum, in dem es ziemlich dunkel war. Ich konnte große Bücherregale
und Ledersofas und zwei riesige Schreibtische ausmachen. Es war unglaublich still, als würde der gesamte Raum in einem verzauberten Schlummer liegen, darauf wartend, dass jemand kam und die Bücher aufschlug und den staubigen Seiten neues Leben einhauchte. Wir betraten das Zimmer, und Helen ließ die Taschenlampe an den Regalen entlanggleiten. Es gab Romane und Bände mit Gedichten und französischen Theaterstücken; Bücher über Rechtswissenschaft und Geschichte; Bücher über Angeln und Gartenbau; Bücher über alles, was die Familie Fairfax jemals interessiert hatte. Mir sank der Mut. Wo sollten wir nur die Zeit hernehmen, sie alle zu durchsuchen? Es war vollkommen unmöglich.
»Hier werden wir es nie finden«, sagte ich – und dann stand ich wie versteinert da, als Helen den Lichtstrahl auf zwei Porträts richtete, die über dem Kamin hingen. Sir Edward Fairfax, Lady Rosalind Fairfax , stand auf den Schildern. Sie starrten uns an, gefangen in der Zeit, behaglich und ernst; noch wussten sie nicht, dass sie ihren lieben Sohn unter skandalösen Umständen verlieren würden – den Gerüchten zufolge durch Selbstmord – ohne dass die Leiche je gefunden worden wäre. Sir Edward war rotgesichtig und sah nicht übermäßig intelligent aus, der typische Landjunker mit seinen Hunden und Pferden, aber Lady Rosalind war wunderschön. Ihre Augen waren blau wie Kornblumen und summten vor ruhelosem Leben, während Sebastians Augen nach unten blickten und mich zu rufen schienen – mich um Hilfe riefen, ehe es zu spät war.
Er wandelt in der von Leben erfüllten Luft . . . ein junger Mann mit braunen Augen ... er ist an deiner Seite ...
»Aufhören!«
Ich würde es verstehen ... Ich werde dir keine Vorwürfe machen ...
»Was ist, Evie?«, fragte Helen.
»Stimmen. In meinem Kopf. Nein, Sebastian, nein, so ist es nicht! Da ist niemand anderes. Du musst mir glauben! «
Ich riss Helen die Taschenlampe aus der Hand, stolperte aus der Bibliothek und rannte auf die mit weichen Teppichen belegte Treppe zu. Die anderen liefen hinter mir her. Ich zwang meine Beine, mir zu gehorchen, während ich, nur getrieben von der Stimme in meinem Kopf und ohne die geringste Ahnung, wohin ich ging,
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