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Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Titel: Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das heilige Feuer
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Bewegung setzen würde, damit sie nach Hause geschickt wurde. Es war
so verführerisch. Es wäre so eine Erleichterung, Harriet – die unbeholfene, so bedürftig wirkende Harriet – nicht mehr hier zu haben. Aber ihre verängstigten Augen blickten mich so flehentlich an.
    »Es muss schrecklich sein, so schlimme Migräne zu haben«, sagte ich mit einiger Mühe. »Arme Harriet. Sie ist wirklich arg gebeutelt. Ich werde sie im Auge behalten, wenn Sie möchten.« Als hätte es nicht auch so schon genug gegeben, worüber ich mir Sorgen machen musste.
    Harriet sah mich an, verlegen, aber dankbar. »Danke, Evie. Du bist meine Freundin. Du bist meine einzige Freundin.«
    Ich lächelte unsicher zurück. Wenn Harriet mich so sehr mochte, warum hatte sie mich dann wenige Minuten zuvor so hasserfüllt angefunkelt? Warum in aller Welt hatte sie mich geschlagen? Und warum war sie so verzweifelt darauf aus, Agnes’ Tagebuch zu lesen?
     
    Die Kirchenglocke des schlafenden Dorfes schlug Mitternacht. Noch eine schlaflose Nacht. Ich hatte versucht, alle Gedanken an Harriet aus meinem Kopf zu verbannen, aber ich konnte mich nicht entspannen. Die Worte aus Agnes’ Tagebuch verfolgten mich, während ich in unserem stillen, weißen Schlafsaal lag.
    Da ist immer noch der gleiche alte Wunsch in ihm, mir alles mitzuteilen, und er hat auch immer noch den gleichen eindringlichen blauen Blick ... ernsthaft krank ... Jetzt plagt ihn ... machen beide jeden Tag neue Entdeckungen ... Stunden habe ich damit verbracht ... Ich spüre, dass ich alles für ihn tun würde ...
    Ich hatte das ganze Tagebuch noch einmal gelesen, eingeschlossen
im Badezimmer, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich dem, was ich wissen musste, irgendwie näher kam. Ich wälzte mich im Bett herum und dachte zum hundertsten Mal darüber nach, wo das Buch vielleicht sein könnte. Helen war in der Lage, durch geschlossene Türen zu gehen, und sie hatte uns bereits gesagt, dass es nicht im Büro der Obersten Mistress war, das jetzt von Miss Raglan benutzt wurde. Ich ging in Gedanken noch einmal alle Orte durch, an denen wir gesucht hatten, und mein Geist landete schließlich wieder in der Bibliothek – und bei Harriets Ausbruch. Ihr Gesicht schien hinter meinen Lidern zu schweben, und ich durchlebte erneut jenen Augenblick voller Panik, als sie sich hinter mich geschlichen und ich das Buch zugeschlagen hatte. Das Buch zuschlagen ... es verstecken ... wie ein Geheimnis wegschließen ...
    Ich setzte mich abrupt auf. So etwas war zuvor schon einmal geschehen, hier in Wyldcliffe. Ein Buch war panisch zugeschlagen und versteckt worden. Ich hatte es gesehen. Ich hatte die beunruhigten Gesichter gesehen, und die raschen Bewegungen, mit denen der kostbare Gegenstand verborgen worden war.
    Ich erinnerte mich. Ich erinnerte mich an alles. Mein Herz hämmerte vor Aufregung. Es war in meinem ersten Term gewesen, als ich noch ganz neu gewesen war und mich im Gebäude verlaufen hatte. Ich war aus Versehen in den privaten Gemeinschaftsraum der Lehrerinnen geplatzt. Dort hatten sechs oder sieben Mistresses um einen Tisch gekauert und in einem alten Buch gelesen, das wie eine uralte Bibel ausgesehen hatte. Miss Raglan war da gewesen, und Miss Dalrymple, wie ich
mich erinnerte. Und das Buch – sie hatten es mit einem kostbaren Tuch bedeckt, als sie mich gesehen hatten, und Miss Raglan war fuchsteufelswild gewesen. Jetzt wusste ich, warum. Ich hatte unwissentlich einen Blick auf das Buch erhascht, das uralte Relikt des Mystischen Weges. Es war hier in Wyldcliffe, nur ein paar Schritte von mir entfernt, versteckt im Stockwerk unter mir.
    Ich dachte nicht lange nach. Ich griff im Dunkeln nach meinem Morgenmantel und schlich mich aus dem Schlafsaal und den Korridor entlang, dann blinzelte ich über das Geländer der Marmortreppe und lauschte eingehend. Im ganzen Haus war es vollkommen still. Eine kleine Lampe leuchtete schwach. Ich dachte, ich könnte es riskieren, die Haupttreppe zu nehmen, um nach unten in den zweiten Stock zu gehen. Wenn mich jemand sah, konnte ich immer noch sagen, dass ich mich krank fühlte und unterwegs zum Zimmer der Krankenschwester war. Oh, es war mir egal, was ich sagen würde, oder was für eine Geschichte ich mir würde einfallen lassen müssen. Alles, was mich interessierte, war, dieses Buch zu kriegen. Wenn ich es erst in meinem Besitz hatte, würde mich nichts mehr davon abhalten können, seine Geheimnisse zu verschlingen. Wissen war Macht. Bald, schon sehr

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