Girl
Rechtssystems in den Schmutz zu ziehen, nur um die Aufmerksamkeit der Kameras zu erheischen. Genau wie Clive Horrocks konnte sie sich nicht zurückhalten, mich morgens um sieben anzurufen und mir alles zu erzählen.
»Hast du heute Morgen schon in die ›Sun‹ geschaut?« fragte sie. Ihr tiefster Südstaatenakzent war passe – jetzt klang sie wie eine echte Pearly Queen. »Schweinesäcke. Mussten ja nicht gleich ein verdammtes Bild machen, oder?«
»O komm schon, Melanie, gib’s zu, du wärst doch am Boden zerstört – na gut, sagen wir, ziemlich geknickt –, wenn sie keins gemacht hätten.«
»Yeah. Wahrscheinlich.« Einen Moment lang herrschte Funkstille, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. »Wir sind berühmt, was? Bist du nicht auch ganz heiß drauf?«
»Weniger, Mel. Aber zu dir passt`s.«
Ich war nicht so recht in Plauderstimmung. Heute war mein Tag im Zeugenstand. Sämtliche Zeugen, die über meinen Charakter ausgesagt hatten, waren durch – jetzt war ich an der Reihe. Ich zog mein Armani-Kostüm an, das ich bei meinem Vorstellungsgespräch mit Mimi Hart getragen hatte. Es hatte mir damals Glück gebracht, vielleicht würde es das auch diesmal tun. Um meinem Gesicht einen freundlicheren Ausdruck zu geben, steckte ich mir die unechten Gold- und Perlenohrringe an, die ich mir in der letzten Woche aus lauter Frust gekauft hatte. Lorraine kümmerte sich um mein Make-up. Es war etwas greller als gewöhnlich, aber heute konnte ich auf volle Kriegsbemalung nicht verzichten.
Wobei gesagt werden muss, dass ich weitaus mehr als einen Tupfer Mascara und ein bisschen Lippenstift zur Beruhigung meines Nervenkostüms gebraucht hätte. Nur gut, dass der Zeugenstand einem bis zur Taille reicht, weil sonst alle im Gerichtssaal meine schlotternden Knie gesehen hätten. Als ich zu Anfang den Eid sprach, brachte ich kaum mehr als ein Flüstern heraus.
»Geht ganz schön an die Nerven, was?« sagte Helen McGoldrick.
»Ja.«
»Nun«, sagte sie, »lassen Sie sich Zeit. Beantworten Sie jede Frage so klar wie möglich. Und vergessen Sie nicht, laut und deutlich zu sprechen.«
McGoldrick war so nett zu mir, als würde sie meine Seite, und nicht die Gegenseite vertreten. Ich musste mich daran erinnern, auf der Hut zu sein, als sie mit ihrer Befragung begann.
»Mich interessiert eines, Miss Barrett«, sagte sie. »Würden Sie sagen, dass Sie sich in den ersten Tagen, vielleicht auch Wochen, nach der Operation weiterhin als Mann gefühlt haben, ungeachtet der an Ihnen vorgenommenen körperlichen Veränderungen?«
»Ja, das habe ich. Ganz eindeutig.«
»Und war es in dieser Phase nicht so, dass Sie sich ausfallend gegenüber dem Krankenhauspersonal verhalten haben, sich über einen behandelnden Arzt erbrochen haben, sich ein weiteres Mal über einen Mann auf der Straße erbrochen haben – gezieltes Erbrechen war nachgerade eins Ihrer Hobbys, nicht wahr? – einen Psychiater angegriffen haben, der zu Ihrer Hilfe abbestellt war, und eben diesen Gentleman niedergestreckt haben, nachdem Sie ihn kurz zuvor mit einem, wie meine Landsleute sagen wurden…«, sie zögerte die Pointe einen Moment hinaus, »… Gähnen in Technicolor bedacht hatten?«
»Das trifft zu, ja.«
»Keine Höchstleistung, auf die man stolz sein könnte, diese Demonstration von Männlichkeit, nicht wahr?«
»Nein, gewiss nicht.«
»Unlängst über jemanden erbrochen? Jemanden geschlagen? Eine Ihrer Therapeutinnen angegriffen?«
»Nein! Natürlich nicht.«
McGoldrick setzte ihr Killer-Lächeln auf, wandte ihr Gesicht der Richterbank zu und wiederholte betont langsam: »Nein, natürlich nicht. Natürlich würden Sie so etwas nicht tun. Jetzt nicht mehr.«
Im nächsten Moment blickte sie mit einem plötzlich und völlig unerwartet verwandelten Gesichtsausdruck wieder zu mir. Ihr Lächeln war jetzt hell und freundlich, während sie mich in einer Art Plauderton von Frau zu Frau befragte: »Übrigens, Ihr Kostüm ist bezaubernd. Sagen Sie, wo bekommt man so was?«
»Oh, Armani«, sagte ich und tappte geradewegs in ihre Falle.
Das Lächeln auf McGoldricks Gesicht blieb, aber der Ausdruck ihrer Augen war wie der einer Katze, die gerade eine saftige, fette Maus aus ihrem Loch hüpfen sieht.
»Tatsächlich? Wie interessant«, sagte sie. »Wissen Sie, ich wünschte, ich hätte Ihren Geschmack in Bekleidungsfragen. Ich habe mich nie groß um Mode gekümmert.« Sie lächelte selbstmitleidig. »Wir hatten nie viel Zeit für so etwas, bei uns daheim
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