GK0042 - Das Rätsel der gläsernen Särge
im Schatten von drei Pinien. John sah die aufgeworfene Erde zu beiden Seiten des Grabes, auf der jetzt Kränze und Bouquets lagen.
Einige Personen hielten Trauerreden. Cordelia Cannons Eltern standen direkt vor dem Grab. Mrs. Cannon wurde von ihrem Sohn und ihrem Mann gestützt. Die Frau war einem Nervenzusammenbruch nahe. Jetzt tauchten auch die vier Sargträger auf. An dicken Seilen ließen sie den Sarg in das Grab hinab. Dann zogen sie die Stricke hoch, verbeugten sich einmal und verschwanden.
John hatte sich inzwischen so weit vorgeschoben, daß er dicht neben dem Grab stand.
Er sah, wie Mrs. Cannon einen Blumenstrauß gereicht bekam. Ihr Mann sprach immer beruhigend auf sie ein. Er und sein Sohn ließen sie dann los, damit sie die Blumen auf den Sarg werfen konnte. Und plötzlich geschah es.
Die lehmige Erde vor dem Grab war feucht und glitschig. Mrs. Cannon, die sich sowieso nur mit Mühe aufrecht halten konnte, rutschte ab. Ehe ihr Mann und ihr Sohn alles begriffen hatten und zupacken konnten, fiel die Frau in das Grab.
Ein vielstimmiger Aufschrei gellte durch die Menge. John Sinclair faßte sich als erster.
Er stieß einige Leute zur Seite und hatte mit drei Schritten das Grab erreicht. John ging in die Hocke, stützte sich ab und ließ sich in das offene Grab hinabgleiten.
Mrs. Cannon war auf den Sarg gefallen und hatte sich an der Seite verletzt. »Keine Angst, ich helfe Ihnen«, sagte John.
Mrs. Cannon schluchzte herzerweichend. Sie flüsterte immer nur den Namen ihrer Tochter und daß sie mit ihr begraben werden wollte. John faßte die Frau vorsichtig unter die Achseln. Er blickte nach oben.
Teils neugierige, teils ängstliche Gesichter starrten ihn an. Cordelia Cannons Bruder hatte sich hingekniet und John beide Arme entgegengestreckt. »Greif meine Hände, Mutter«, rief er.
John hob die Frau an, die plötzlich zu schreien anfing und das Grab nicht mehr verlassen wollte.
Es dauerte einige Minuten, bis sie es geschafft hatten. Bevor John Sinclair das Grab verließ, sah er sich noch einmal um. Er hatte einen ganz bestimmten Verdacht. Und richtig. Der Verdacht wurde bestätigt.
An der Seitenwand des Grabes entdeckte John ein Stück trockener Erde. Als hätte hier jemand etwas verbergen wollen. John warf noch einen kurzen Blick nach oben, ehe er sich bückte. Niemand kümmerte sich um ihn. Sie alle hatten mit Mrs. Cannon genug zu tun.
John Sinclair fuhr mit der Hand über die bewußte Stelle. Und tatsächlich. Der Lehm gab nach. Johns Hand war plötzlich verschwunden. Sie steckte bereits in einem Gang.
Es war ein Gang, den die Ghouls gegraben hatten, um so besser an ihre Opfer zu kommen. Diese Entdeckung rief bei John eine eiskalte Gänsehaut hervor.
***
Das Telefon schrillte genau um zehn Uhr morgens.
Bill Conolly, der die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte, riß förmlich den Hörer von der Gabel.
Ein leises spöttisches Lachen drang an sein Ohr.
Bill fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er wußte genau, daß einer von Sheilas Entführern am Apparat war.
»Ich gratuliere Ihnen, Mr. Conolly«, sagte der Anrufer mit ätzender Stimme. »Sie haben gestern nacht Glück gehabt. Leider nicht Ihre Frau. Sie befindet sich…«
»Sie verdammtes Schwein!« preßte Bill hervor. »Lassen Sie…«
»Ich würde an Ihrer Stelle etwas zurückhaltender sein«, sagte der Unbekannte kalt. »Es könnte Ihrer Frau schlecht bekommen. Aber jetzt mal zum Kernpunkt der Sache. Sie möchten Ihre Frau gerne wiedersehen. Kann ich durchaus verstehen. Und deshalb lade ich Sie ein, zu mir zu kommen. Und zwar innerhalb der nächsten Stunde. Schaffen Sie es nicht, wird die liebe Sheila umgebracht. Das gleiche geschieht, wenn ich auch nur den Zipfel einer Polizeiuniform sehe. Haben Sie mich verstanden, Mr. Conolly?«
Der Hörer in Bills Hand wurde auf einmal schwer wie Blei. Mit Gewalt mußte der Reporter sich zusammenreißen. »Wohin soll ich kommen?«
»Ich sehe, Sie haben kapiert, Mr. Conolly«, antwortete die widerliche Stimme. »Kommen Sie in die Latimer Road. Beerdigungsinstitut ›Seelenfrieden‹. Und ohne Polizei. So, Mr. Conolly, ab jetzt läuft die Uhr. Denken Sie daran, in 60 Minuten…« Der Anrufer legte auf.
Für Bill bestand kein Zweifel, daß es sich bei dem Mann um William Abbot handelte.
Der Reporter begann fieberhaft nachzudenken. Heute war Cordelia Cannons Beerdigung. Und John wollte hin. Demnach war er gar nicht mal soweit von Abbots Bleibe entfernt.
Bill wollte unbedingt John Sinclair
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