GK0141 - Irrfahrt ins Jenseits
durch das Verlies.
Der Dämon war geschockt, er hatte geglaubt, daß der schwere Deckel John Sinclair zerschmettern würde und nicht damit gerechnet, daß der Geister-Jäger ein in Hunderten von Auseinandersetzungen erprobter Kämpfer war, und seine Schnelligkeit und Kraft immer wieder erneut beweisen mußte.
Mit einem gewaltigen Satz war John Sinclair auf den Beinen. Er wollte sich nach der Fackel bücken, um sie als Waffe gegen den Kelem einzusetzen, doch da sah er, daß es nicht mehr nötig war.
Der Kelem war schon besiegt!
Von einer Sekunde zur anderen brach er in die Knie. Wie eine Marionette, deren Fäden durchgetrennt worden waren. Der Kelem kniete auf dem Boden, schwankte hin und her. Sein Schädel pendelte, als gehöre er gar nicht mehr zum Körper.
John Sinclair wußte nicht, weshalb der Kelem so reagiert hatte. Er konnte sich aber vorstellen, daß der Tod des Gesichtslosen auch den Kelem geschwächt hatte. Schließlich gehörten die beiden zusammen, hatten ein Doppeldämonenpaar gebildet.
Auf einmal begann der Kelem zu brüllen. Grauenhafte unartikulierte Schreie drangen aus seinem Maul. Der Kelem mußte alle Schmerzen der Hölle verspüren. Ein kalter Windzug pfiff plötzlich durch das Verlies, preßte John gegen die Steinwand und heulte eine mißtönende Melodie.
Der Kelem wurde von der Bö gepackt.
Wild drehte er sich im Kreis, wurde zu einer grün schimmernden Spirale, die sekundenlang handbreit über dem Boden schwebte, sich dann auflöste und als Nebelschwaden davonwehte.
John Sinclair stand wie erstarrt. Seine Augen waren immer noch auf den Fleck gerichtet, wo er die Nebelspirale zum letztenmal gesehen hatte.
Es war für ihn ein unbegreiflicher Vorgang gewesen. Hier hatte die Schwarze Magie in das Geschehen eingegriffen und es an sich gerissen.
Und dann brandete die Stimme auf. Sie war plötzlich da, schien von überall herzukommen und war gewaltig wie der Donner eines Sommergewitters.
»Er hat versagt«, sagte die Stimme. »Die lange Strafe hat nichts genutzt. Er hat wieder einen Fehler gemacht. Der Kelem ist nicht würdig, ein Dämon zu sein, und nur deshalb ist er ausgelöscht worden.«
Die Stimme verstummte so plötzlich, wie sie gekommen war.
Stille senkte sich über das Verlies des Schreckens. Nur John Sinclairs heftiges Atmen war zu hören.
John hatte nicht mehr einzugreifen brauchen. Ein mächtigerer Dämon hatte den Kelem vernichtet. Und wieder einmal hatte der Geister-Jäger erlebt, wie gnadenlos im Reich der Finsternis regiert wurde. Wer versagte, wurde ausradiert.
Die Hölle kannte kein Erbarmen!
John Sinclair wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Er war über und über mit Staub bedeckt, und der Handrücken hinterließ auf seiner Haut einen feuchten Schmierfilm.
Mit schleppenden Schritten ging John aus dem Verlies, das ihm beinahe zum Grab geworden wäre. Einige Sekunden blieb er vor den offenen Särgen stehen.
Im vorletzten Sarg lag Mike O’Shea. John Sinclair wußte, wie der Mann aussah. Mary O’Shea hatte ihm ein Bild gezeigt.
Mikes Gesicht war eine Grimasse des Entsetzens. Er mußte in den letzten Sekunden seines Lebens grausam gelitten haben.
Dann wandte der Geister-Jäger sich ab.
Er fand Alice Paine auf der Treppe sitzend. Sie hielt den geweihten Dolch immer noch fest umklammert und blickte John aus ihren großen blauen Augen an.
Der Oberinspektor lächelte. Behutsam strich er dem Kind über das blonde Haar. Dann sagte er leise: »Komm, Alice, laß uns gehen. Dein Dad wartet schon.«
John streckte dem Kind die Hand hin. Alice ergriff sie, und der Oberinspektor nahm das Mädchen auf den Arm. Vorsichtig drehte er ihr den Dolch aus den Fingern und steckte ihn wieder in die eigens dafür vorgesehene Scheide.
Alice Paine legte den Kopf an Johns Schulter. Und plötzlich begann sie zu weinen. Aber es waren Tränen der Erleichterung.
***
Langsam ging John mit dem blondhaarigen Mädchen den Weg zum Dorf hinunter.
An der ersten Kurve kam ihnen bereits Sam Bassum entgegen. Der Automechaniker hatte eine Decke mitgebracht.
»Mein Gott, sie lebt«, sagte er, nahm John das Kind ab und wickelte es in die Decke.
Alice merkte davon nichts. Sie war eingeschlafen.
Die anderen Männer hatten gewartet. John redete ein paar Worte mit ihnen, und man kam überein, daß Alice solange, bis ihr Vater sie abholte, bei Mary O’Shea bleiben sollte.
John sprach aber zuerst allein mit der Frau. Mit behutsamen Worten setzte er sie vom Tod ihres Mannes in Kenntnis.
Mary
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